Beim Frühstück am anderen Morgen begann dasselbe zierliche Spiel. Meine Mutter, die abends nur still und gespannt zugehört hatte, nahm jetzt mit Vergnügen selber teil, und wir behandelten die Schniebel mit einer Artigkeit und Zartheit, die sie sehr ins Enge trieb, ja traurig machte, denn sie ahnte wohl, dass meiner Mutter diese Töne nicht vom Herzen kämen. Beinahe hätte mir das alte Mädchen leid getan, wie sie ängstlich wurde und sich klein zu machen strebte, alles lobte und gut hieß; allein ich dachte an die entlassene Stubenmagd, an die unzufrieden aussehende Köchin, die nur der Mutter zuliebe noch geblieben war, ich dachte an das eingenähte Klavier und den ganzen trübsinnigen kleinlichen Geruch in meinem ehemals fröhlichen Vaterhaus und blieb hart.
Nach Tisch bat ich meine Mutter, sich etwas zu legen, und blieb mit der Base allein.
»Pflegen Sie etwa nach Tisch zu schlafen?« fragte ich höflich. »Dann möchte ich Sie nicht stören. Ich hätte etwas mit Ihnen zu reden, doch eilt es ja nicht so sehr.«
»O bitte, ich schlafe nie am Tage. So alt bin ich ja gottlob noch nicht. Ich stehe ganz zu Diensten.«
»Danke sehr, gnädiges Fräulein. Ich wollte Ihnen Dank sagen für die Freundlichkeiten, die Sie meiner Mutter erwiesen haben. Sie hätte es sonst doch sehr einsam gehabt in dem leeren Haus. Nun, jetzt wird das ja anders.«
»Wie?« rief sie aufspringend. »Was wird anders?«
»Wissen Sie es noch nicht? Mama hat sich entschlossen, endlich meinen alten Wunsch zu erfüllen und zu mir zu ziehen. Da können wir das Haus natürlich nicht leer stehen lassen. So wird es denn wohl bald zum Verkauf kommen.«
Das Fräulein starrte mich fassungslos an.
»Ja, es tut mir auch leid«, fuhr ich bedauernd fort. »Nun, für Sie war diese Zeit immerhin anstrengend. Sie haben sich des ganzen Hauses so freundlich und sorglich angenommen, dass ich nicht genug danken kann.«
»Aber ich, was soll, wohin soll ich «
»Nun, das wird sich ja finden. Sie müssen sich eben wieder eine Wohnung suchen, es eilt natürlich nicht so sehr. Sie werden sich selber freuen, es wieder stiller zu haben.«
Sie war aufgestanden. Ihr Ton war noch höflich, aber bedenklich scharf.
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, rief sie erbittert. »Ihre Mutter, Herr, hat mir versprochen, mich hier wohnen zu lassen. Es war eine feste Abmachung; und jetzt, wo ich mich des Hauses angenommen und Ihrer Mutter in allem geholfen habe, jetzt setzt man mich auf die Straße!«
Sie begann zu schluchzen und wollte fortlaufen. Doch hielt ich sie an ihrer mageren Hand zurück und setzte sie wieder in ihren Sessel.
»So schlimm ist es nicht«, sagte ich lächelnd. »Dass meine Mutter von hier wegziehen will, ändert eben die Verhältnisse ein wenig. Übrigens ist der Verkauf des Hauses nicht von ihr beschlossen, sondern von mir, denn ich bin der Besitzer. Dass Sie sich beim Aussuchen einer neuen Wohnung nicht beschränken und die Sorge dafür ihr überlassen, setzt meine Mutter voraus. Sie haben es dann bequemer als bisher und sind doch noch gewissermaßen ihr Gast.«
Es kamen nun die erwarteten Einwände, der Stolz, das Weinen, das mit Bitten abwechselnde Großtun, und am Ende merkte die Schmollende, dass hier Nachgeben das klügste sei. Doch zog sie sich auf dieses hin in ihr Zimmer zurück und ließ sich auch zum Kaffee nicht sehen. Meine Mutter meinte, wir sollten ihr diesen aufs Zimmer schicken, doch wollte ich nach all der Höflichkeit auch meine Rache haben und ließ Fräulein Schniebel in ihrem Trotz verharren bis zum Abend, wo sie denn still und grämlich, doch pünktlich zur Mahlzeit erschien.
»Ich muss leider schon morgen wieder nach R. fahren«, sagte ich während des Abendessens. »Solltest du mich aber brauchen, Mama, so kann ich ja immer schnell herfahren.«
Ich sah dabei nicht meine Mutter, sondern ihre Cousine an, und sie merkte, wie es gemeint sei. Mein Abschied von ihr war kurz und meinerseits beinahe herzlich.
»Kind«, sagte meine Mutter nachher, »du hast es gut gemacht, und ich muss dir danken. Willst du mir nicht etwas aus deiner Oper vorspielen?«
Dazu kam es nun nicht, aber war ein Ring durchbrochen, und zwischen der alten Frau und mir begann es zu tagen. Das war das Beste an der Sache. Sie hatte jetzt Vertrauen zu mir, und ich freute mich darauf, bald mit ihr ein kleines Hauswesen zu eröffnen und aus der langen Heimatlosigkeit herauszukommen. Ich reiste befriedigt ab, hinterließ schöne Grüße an das alte Fräulein und begann nach meiner Rückkehr schon da und dort einzukehren, wo hübsche kleine Wohnungen zu vermieten standen. Dabei half mir Teiser, und meistens war auch seine Schwester mit, und beide freuten sich mit mir und hofften auf ein erfreuliches Zusammenleben der beiden kleinen Familien.