»Was ich möchte, ist ganz einfach. Es gibt eine Kamera direkt vor der Tür zum Chefbüro. Ich möchte, dass Sie den Feed aufrufen und in dem Moment starten, in dem die Leichen entdeckt wurden – und die Aufzeichnung mit doppelter Geschwindigkeit zurücklaufen lassen.«
»Wie Sie wünschen.«
Hradsky benötigte nur einen Moment, dann hatte er alles eingerichtet und den Raum abgedunkelt. Auf dem Monitor erschien ein überraschend scharfes Bild mit einer Weitwinkelansicht auf die doppelflügelige Tür und den Bereich ringsum, mit den Schreibtischen auf beiden Seiten. Die Aufzeichnungen setzten ein mit dem Mann, der die Leichen gefunden hatte, wie er mit dem Kopf in den Händen dasaß, während neben ihm eine der Sekretärinnen auf eine Couch gelegt wurde. Dann erhoben sich beide, und der Mann zog die Frau rückwärts in das Chefbüro. Einige Augenblicke später kamen sie wieder heraus, rückwärts gehend – und da sah man den Mann, wie er, zusammen mit der Frau, am Griff der verschlossenen Tür rüttelte. Dann ging die Frau zurück zu ihrem Schreibtisch, der Mann geriet erneut außer Sicht, und die Tür blieb geschlossen. Gleichzeitig schwärmten mehrere Personen im Vorzimmer hierhin und dorthin aus.
Sie warteten, während die Sekunden weiter rückwärts liefen. Dann aber öffnete sich die Tür, und ein Mann mit einem großen Instrumentenkasten erschien links im Bild; er ging rückwärts und trat rückwärts durch die Bürotür. Die Tür schloss sich.
»Stopp!«, sagte D’Agosta.
Hradsky hielt die Aufzeichnung an.
»In Zeitlupe vorspulen.«
Hradsky ließ die Aufnahme vorwärts laufen. Jetzt öffnete sich die Tür. Der Mann verließ das Zimmer.
»Standbild.« D’Agosta erhob sich und schaute auf das Bild. Es war erstaunlich scharf. »Das ist doch unser Mann, oder? Er ist als Letzter aus dem Büro gekommen, ehe die Leichen gefunden wurden. Das muss er sein.« Er blickte Pendergast an und rechnete fast damit, dass er widersprach.
Aber nein. Pendergast sagte: »Ihre Logik ist unbestreitbar.«
»Sehen Sie sich doch mal das Ding an, das er da trägt. Groß genug für ein Schwert oder zwei Köpfe! Und die Zeitmarke entspricht genau der Zeit, die der Rechtsmediziner als Todeszeitpunkt festgestellt hat. Heiliger Bimbam, das ist er!«
»So erscheint es zweifellos«, sagte Pendergast.
»Also, wer ist es?« D’Agosta wandte sich zu Hradsky um. »Haben Sie den Mann schon mal gesehen?«
Hradsky ließ das Bild vorwärts und rückwärts laufen, isolierte das Gesicht des Mannes, vergrößerte es und betätigte ein paar Software-Regler, um es schärfer einzustellen. »Er kommt mir bekannt vor. Ich glaube, er arbeitet hier. Mensch, das ist ja McMurphy!«
»Wer ist das?«
Er drückte einen Knopf. Auf dem Bildschirm erschien eine digitale Personalakte. Zu sehen war das Foto eines Mannes, daneben sein Name: Roland McMurphy, stellvertretender Vizepräsident, samt allen Daten: Telefon, Adresse an der Columbus Avenue, allem.
»Das ist unser Mann.« Endlich. D’Agosta hatte Mühe, seine Hochstimmung aus der Stimme herauszuhalten.
»Hm«, sagte Hradsky, »ich glaube nicht.«
»Was meinen Sie damit?«
»McMurphy? Ich kann mir nicht einmal im Traum vorstellen, dass er so etwas tun würde. Wissen Sie, er ist einer von diesen Männern mit abfallenden Schultern und Doppelkinn, ein Hypochonder, Schmetterlingssammler, Cellospieler, der huscht hier im Haus herum, als würde er im nächsten Moment ausgepeitscht.«
»Manchmal sind es die Typen, die man am wenigsten verdächtigt«, sagte D’Agosta. »Die dann plötzlich durchdrehen.«
»Wir können verifizieren, ob er anwesend war. Wir führen digitale Aufzeichnungen von jedem, der das Gebäude betritt und wieder verlässt.« Hradsky blätterte auf dem Bildschirm durch irgendwelche Akten. »Hier steht, dass er nicht zur Arbeit erschienen ist – anscheinend hatte er sich krankgemeldet.«
»Dann hat er sich krankgemeldet und sich unbemerkt ins Gebäude geschlichen.« D’Agosta drehte sich zu Curry um. »Schicken Sie zwei Streifenwagen zu seiner Wohnung, mit einem Back-up- und einem Spezialeinsatzkommando in Rufbereitschaft. Tun Sie’s jetzt.«
»Ja, Lieutenant.« Curry entfernte sich einige Schritte, zog sein Handy aus der Hosentasche und tätigte die Telefonate.
Hradsky räusperte sich. »Ich würde meinen, dass das, was Sie da unterstellen, nämlich dass er sich unbemerkt in das Gebäude geschlichen hat, schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein dürfte. Wir haben hier das neueste Überwachungssystem.«
Pendergast sagte ruhig: »Darf ich eine Bitte äußern?«
D’Agosta blickte ihn an. »Ja, nur zu.«
»Der Mörder hat das Büro um 16.01 Uhr verlassen. Wie lange dauert es, um von dort zum Haupteingang zu kommen?«
»Sechs bis acht Minuten, würde ich sagen.«
»Ausgezeichnet. Schauen wir uns einmal die Lobby-Kamera um 16.07 Uhr an, um festzustellen, ob er das Gebäude verlassen hat.«
Hradsky nahm die nötigen Einstellungen vor; einen Augenblick später beobachteten sie tatsächlich, wie der Mann mit dem Cellokasten um 16.08 Uhr die Eingangshalle verließ.