Nach einer Stunde in dem Raum, während derer Pendergast keinerlei sichtbare Anzeichen von Verärgerung zeigte, verlor Longstreet schließlich die Geduld. »Das ist ungeheuerlich!«, sagte er zu dem Sicherheitsbeauftragten. »Zwei leitende FBI-Agenten, die in einem Fall ermitteln, werden bei der Arbeit behindert! Wir tun Ozmian einen Gefallen, indem wir den Mord an seiner Tochter aufzuklären versuchen – und man lässt uns hier ewig warten!«
Der Sicherheitsbeauftragte nickte bloß. »Tut mir leid, ich habe meine Anweisungen.«
Longstreet drehte sich zu Pendergast um. »Ich fahre gleich zurück zum Federal Plaza, besorge uns einen richterlichen Beschluss – und ein Spezialeinsatzkommando dazu – und schlage die Tür des Kerls mit einer Ramme ein.«
Longstreet setzte sich zurück und fasste den Entschluss, Pendergast die Sache auf seine Weise erledigen zu lassen. Sie saßen noch eine weitere halbe Stunde in dem Raum, ehe sich die Tür erneut öffnete und sie endlich in Ozmians privates Adlernest geführt wurden. Während sie sich durch den hohen Raum der großen doppelflügeligen Tür näherten, wunderte sich Longstreet, wie viele Leute ringsum geschäftig ihrer Arbeit nachgingen, und das zu einer Zeit, in der die meisten Angestellten arbeitsfreie Tage hatten. Doch derlei Dinge bedeuteten Anton Ozmian vermutlich sehr wenig.
Der Mann selbst saß, die Hände auf dem schwarzen Granit, die Finger ineinander verschränkt, hinter seinem wuchtigen Schreibtisch. Teilnahmslos sah er Pendergast und Longstreet an. Auf einem der Chrom-und-Leder-Stühle, die vor dem Schreibtisch standen, saß eine Frau. Augenscheinlich interessierte sie sich mehr für den Blick durch die bodentiefen Fenster auf den New Yorker Hafen als für die Neuankömmlinge.
Nach einer unverschämt langen Pause bedeutete Ozmian Pendergast und Longstreet, dass sie sich setzen sollten. »Special Agent Pendergast«, sagte er lakonisch. »Wie schön, Sie wiederzusehen.« Er wandte sich Longstreet zu. »Und Sie sind –?«
»Howard Longstreet, Stellvertretender Direktor Nachrichtendienst.«
»Ach ja, natürlich. Sie sind also die Person, die dieses Treffen veranlasst hat.«
Longstreet wollte etwas darauf erwidern, doch Pendergast hielt ihn zurück, indem er ihm leicht die Hand auf den Arm legte.
Ozmian grinste Longstreet an. »Nun, ich freue mich, dass Sie hier sind. Denn diese Ermittlungen können sicher ein wenig Kompetenz gebrauchen.« Der Vorstandschef richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Pendergast. »Zweifellos sind Sie gekommen, um mich über das blitzkriegsartige Tempo und die rasiermesserscharfen Schlussfolgerungen in Kenntnis zu setzen, mit denen Sie den Fall vorangetrieben haben.«
»Nein«, sagte Pendergast. Dabei wahrte er, wie Longstreet bemerkte, die unterwürfige Haltung, die er eingenommen hatte, als sie an der Sicherheitsschleuse warteten.
Daraufhin zeigte sich Ozmian überrascht. Er setzte sich in seinem Stuhl zurück und fixierte Pendergast mit strengem Blick. »Na schön. Warum sind Sie also gekommen?«
»Mr. Ozmian, bei Ihrer Arbeit kaufen oder übernehmen Sie andere Unternehmen und deren Technologien.«
»Solche Sachen passieren bekanntermaßen in der Geschäftswelt.«
»Ist es richtig, dass nicht alle diese Unternehmen besonders erpicht darauf sind, auf diese Weise erworben zu werden?«
Ein amüsiertes Lächeln huschte über Ozmians Gesichtszüge. »Das stimmt. So etwas nennt man feindliche Übernahme.«
»Verzeihen Sie mir meine Unwissenheit. In geschäftlichen Dingen kenne ich mich nicht gut aus. Ist dies denn der Fall bei den meisten dieser Übernahmen? Dass sie
»In vielen Fällen haben sich die Vorstandschefs und Anteilseigner darüber gefreut, dass sie dadurch reich geworden sind.«
»Verstehe.« Pendergast schien nachzudenken, als wäre ihm ein derartiger Gedanke noch nie in den Sinn gekommen. »Aber es gibt einige, die darüber nicht so glücklich waren?«
Ozmian zuckte mit den Schultern, als sei die Frage so banal, dass sie keiner Antwort bedurfte.
»Nochmals, entschuldigen Sie bitte meine Unkenntnis«, fuhr Pendergast im selben untertänigen Tonfall fort. »Und wenn diese Menschen nicht glücklich waren – sondern äußerst unglücklich –, kann es sein, dass sie Sie am Ende gehasst haben, Sie persönlich?«
Es folgte eine kurze Stille, in der sich Pendergast fast unmerklich auf seinem Stuhl weiter nach vorn setzte.
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Gestatten Sie mir, die Frage anders zu formulieren. Sie ist, zugegeben, allzu vage, denn ich bin mir sicher, dass viele Menschen Sie hassen. Mr. Ozmian, wer hasst Sie am meisten?«