»Das ist eine lächerliche Frage. Übernahmen sind im Geschäftsleben gang und gäbe, und ich schenke den Jammerlappen, deren Unternehmen ich erworben habe, keinerlei Beachtung.«
»Möglicherweise ist Ihnen da eine schwerwiegende Fehleinschätzung unterlaufen, und zwar eine, welche Sie in Ihre derzeitigen unglücklichen Umstände gebracht hat.«
»Unglückliche Umstände? Meinen Sie damit den Tod meiner Tochter?« Ozmians Miene verdunkelte sich. Longstreet merkte, dass er wütend war.
Pendergast setzte sich noch etwas weiter vor. »Denken Sie sehr genau über meine Frage nach, Mr. Ozmian, denn ich frage Sie noch einmal: Wer hasst Sie
Kurz huschte ein Ausdruck, den Longstreet nicht genau deuten konnte, über Ozmians Gesicht, dann bezwang er seine Wut und setzte wieder seine distanzierte, etwas hochnäsige Miene auf.
»Denken Sie sorgfältig nach«, drängte ihn Pendergast, dessen Stimme einen durchaus eisigen Klang angenommen hatte. »Wer hasst Sie so sehr, dass er Ihre Tochter töten würde – und es nicht nur dabei belassen, sondern zurückkehren und ihren Kopf mitnehmen würde?«
Ozmian gab keine Antwort. Inzwischen war seine Miene ausgesprochen düster.
Pendergast richtete sich auf und zeigte mit dem Finger auf den Vorstandschef von DigiFlood. »Wer hasst Sie so sehr, Mr. Ozmian? Ich weiß, dass Ihnen ein Name vorschwebt. Aber indem Sie mir diesen Namen verschweigen, helfen Sie mittelbar dieser Person, die möglicherweise Ihre Tochter umgebracht hat.«
Im Zimmer breitete sich eine unangenehme, vergiftete Atmosphäre aus. Endlich schauten sowohl Ozmian als auch die Mitarbeiterin ohne Namen Pendergast mit ungeteilter Aufmerksamkeit an. Wieder setzte Ozmian eine absichtsvoll neutrale Miene auf, doch Longstreet spürte, dass es in dem Mann brodelte. Eine Minute verstrich, dann zwei, bis Ozmian erneut das Wort ergriff.
»Robert Hightower«, sagte er schließlich mit teilnahmsloser Stimme.
»Noch einmal«, sagte Pendergast. Das war ein Befehl, keine Bitte.
»Robert Hightower. Der Ex-Vorstandschef von Bisynchrony.«
»Und warum hasst er Sie?«
Ozmian verlagerte sein Gewicht auf dem Stuhl. »Sein Vater war Streifenpolizist, er stammt aus einer Familie von New Yorker Polizisten. Ist in Brooklyn aufgewachsen, in ärmlichen Verhältnissen. Aber er war ein Mathegenie. Er hat einen Algorithmus erfunden, mit dem sich Dateien komprimieren lassen, während man diese gleichzeitig in Echtzeit streamt. Er hat ihn weiter verbessert, die Datenübertragungsrate maximiert und zugleich die binäre Auflösung erhöht. Als der Algorithmus imstande war, eine Bit-Tiefe von 32 zu verarbeiten, hat das mein Interesse geweckt. Aber Hightower wollte nicht Teil der DigiFlood-Familie werden. Ich habe mein Angebot mehrmals versüßt, doch er hat mich weiter abgewiesen. Er hat gesagt, der Algorithmus sei sein Baby, sein Lebenswerk. Am Ende habe ich mich gezwungen gesehen, den Kurs der Bisynchrony-Aktie zu drücken – wie, das tut hier nichts zur Sache. Er musste mir alles verkaufen. Zur damaligen Zeit hat er mir die Schuld daran gegeben, ich hätte, wie er das melodramatisch ausdrückte, ›sein Leben ruiniert‹. Hat mehrere Prozesse gegen mich angestrengt, womit er nichts weiter erreichte, als sein Bankkonto leer zu räumen. Wieder und wieder hat er mich angerufen, hat gedroht, mich umzubringen, meine Firma zu ruinieren und meine Familie zu zerstören, bis ich schließlich ein Betretungsverbot gegen ihn erwirkt habe. Ein Jahr nach der Übernahme ist der Wagen seiner Frau eine Klippe hinabgestürzt. Die Frau saß am Steuer, betrunken. Natürlich bestand da keinerlei Zusammenhang.«
»Natürlich«, sagte Pendergast süffisant. »Und warum haben Sie das der Polizei nicht schon früher mitgeteilt?«
»Sie haben mich gefragt, wer mich am meisten hasst. Diese Frage habe ich beantwortet. Aber es gibt Hunderte weitere Personen, die mich hassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeine von ihnen eine unschuldige junge Frau ermordet und ihr den Kopf abschneidet.«
»Aber Sie haben doch gesagt, dass Robert Hightower tatsächlich damit gedroht hat, Sie und Ihre Familie umzubringen. Haben Sie ihm geglaubt?«
Ozmian schüttelte den Kopf. Er schien sich geschlagen zu geben. »Ich weiß es nicht. Die Leute sagen törichte Dinge. Aber Hightower … der ist wirklich die Wände hochgegangen.« Er blickte von Pendergast zu Longstreet, dann wieder zu Pendergast. »Ich habe Ihre Frage beantwortet. Und jetzt verschwinden Sie.«
Für Longstreet war damit klar, dass sich Ozmian weder zu diesem noch zu irgendeinem anderen Thema äußern würde.
Pendergast erhob sich von seinem Stuhl, verneigte sich leicht, ohne anzubieten, Ozmian die Hand zu reichen.
Ozmian reagierte mit flüchtigem Nicken.