»Mein Lieber«, flüsterte er, »ich kann nicht bis morgen warten. Ich muss Abschied von dir nehmen, und zum Abschied muss ich dir noch alles sagen. Höre mir noch einen Augenblick zu. Ich wollte dir von der Mutter erzählen, und dass sie ihre Finger um mein Herz geschlossen hält. Es ist seit manchen Jahren mein liebster und geheimnisvollster Traum gewesen, eine Figur der Mutter zu machen, sie war mir das heiligste von allen Bildern, immer trug ich es in mir herum, eine Gestalt voll Liebe und voll Geheimnis. Vor kurzem noch wäre es mir ganz unerträglich gewesen zu denken, dass ich sterben könnte, ohne ihre Figur gemacht zu haben, mein Leben wäre mir unnütz erschienen. Und nun sieh, wie wunderlich es mir mit ihr gegangen ist statt dass meine Hände sie formen und gestalten, ist sie es, die mich formt und gestaltet. Sie hat ihre Hände um mein Herz und löst es los und macht mich leer, sie hat mich zum Sterben verführt, und mit mir stirbt auch mein Traum, die schöne Figur, das Bild der großen Eva-Mutter. Noch sehe ich es, und wenn ich Kraft in den Händen hätte, könnte ich es gestalten. Aber sie will das nicht, sie will nicht, dass ich ihr Geheimnis sichtbar mache. Lieber will sie, dass ich sterbe. Ich sterbe gern, sie macht es mir leicht.«
Bestürzt hörte Narziss den Worten zu, er musste sich tief über seines Freundes Gesicht hinabbücken, um sie noch verstehen zu können. Manche hörte er nur undeutlich, manche hörte er wohl, doch blieb ihr Sinn ihm verborgen.
Und nun schlug der Kranke nochmals die Augen auf und blickte lang in seines Freundes Gesicht. Mit den Augen nahm er Abschied von ihm. Und mit einer Bewegung, als versuche er den Kopf zu schütteln, flüsterte er »Aber wie willst denn du einmal sterben, Narziss, wenn du doch keine Mutter hast? Ohne Mutter kann man nicht lieben. Ohne Mutter kann man nicht sterben.«
Was er später noch murmelte, war nicht mehr verständlich. Die beiden letzten Tage saß Narziss an seinem Bett, Tag und Nacht, und sah zu, wie er erlosch. Goldmunds letzte Worte brannten in seinem Herzen wie Feuer.
Wortschatz
A
abhängig
– 1. зависимый; 2. наклонный, покатый; 3. ~-er Kasus косвенный падежAbt
abziehen
Ahorn
Amboss
Amsel
Andаcht
andächtig
Anflehung
Anhänglichkeit
anheimfallen
anheimgeben
Anliegen
anmaßend
Anmut
anmuten
anschiffen
anstacheln
– побуждать (неоднократно)Apfelmost
Armbrust
Artung
Attentäter
Aufbefohlene
auflesen
aufraffen sich
– 1. вскакивать; 2. собраться с силамиAufschneider
aufzäumen
auskneifen
Aussätziger
Ausschließlichkeit
aussetzen
B
balgen
– свежеватьbalgen sich
Balken
Barett
beargwöhnen
begaffen
Begierde
behelfen sich
Beichte
Beichtvater
~väter
– духовникbeinern
beklemmen
belanglos
Beschließerin
beschuht
beschwingt
beseligend
Besinnung
besolden
Betrachtung
betreten
Bilderung
billigen
Вirkenstämmchen
blasiert
Blattbüschel
Blattgold
blumig