Beim Gehen wurde er langsam wach. Im Schatten unter den Kiefern war es kalt, doch die Sonne stand jetzt so hoch, dass er sie spüren konnte, wenn er über eine helle Stelle schritt. Durch die Bewegung erwärmten und lockerten sich seine Muskeln, und als er die erste Hochwiese erreichte, fühlte er sich allmählich wieder wie er selbst, fest in der physischen Welt von Berg und Wald verankert. Die Zukunft hatte sich in die Welt der Träume und Erinnerungen zurückgezogen, und er befand sich wieder ganz im Hier und Jetzt.
»Und das ist auch gut so«, murmelte er vor sich hin. »Du willst dir ja schließlich nicht den Fuß abschneiden.« Er ließ die Axt am Fuß eines Baumes fallen und bückte sich, um Heu zu schneiden.
Es war nicht die beruhigend monotone Arbeit des normalen Heumachens, bei der die große, zweihändige Sichel das trockene, fette Gras in ästhetischen Reihen auf das Feld legte. Dies war eine grobere, zugleich aber einfachere Arbeit, bei der er mit einer Hand ein Büschel Timotheus- oder Präriegras ergriff, die Halme dicht über der Wurzel abschnitt und das wilde Heu in den Jutesack stopfte, den er mitgebracht hatte.
Es erforderte im Gegensatz zur hirnlosen Kraftanstrengung des Heumachens auf dem Feld keine große Stärke, dafür aber Konzentration. Überall auf dieser kleinen Lichtung wuchsen zwischen den Bäumen verstreute Grasbüschel, die jedoch mit Granitbrocken, kleinen Büschen, zerfallenden Baumstümpfen und Brombeeren durchsetzt waren.
Es war eine beruhigende Arbeit, und obwohl sie ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, begannen seine Gedanken bald in andere Richtungen zu wandern. In Richtung der Dinge, die Jamie dort draußen unter den Sternen auf dem finsteren Berg zu ihm gesagt hatte.
Manches davon hatte er schon gewusst; dass es Spannungen zwischen Alex MacNeill und Nelson McIver gab und warum; dass einer von Patrick Nearys Söhnen höchstwahrscheinlich ein Dieb war und was diesbezüglich zu unternehmen war. Welches Land wann und an wen zu verkaufen war. Von anderen Dingen hatte er nicht die geringste Ahnung gehabt. Er presste die Lippen fest aufeinander, als er an Stephen Bonnet dachte.
Und was mit Claire geschehen sollte.
»Wenn ich tot bin, muss sie gehen«, hatte Jamie gesagt, als er einmal abrupt aus seinem fiebrigen Dämmerzustand erwachte. Er hatte Roger überraschend kraftvoll am Arm gepackt, ein dunkles Feuer in den Augen. »Schick sie heim. Zwing sie dazu. Ihr solltet alle gehen, wenn das Kind die Steine passieren kann. Aber sie muss gehen. Sorge dafür, dass sie zu den Steinen geht.«
»Warum?«, hatte Roger leise gefragt. »Warum soll sie gehen?« Es war möglich, dass Fraser durch das Fieber von Sinnen war und nicht mehr klar dachte. »Es ist ein gefährliches Unterfangen, durch die Steine zu gehen.«
»Ohne mich ist es hier zu gefährlich für sie.« Frasers Blick war auf einmal unscharf geworden; seine Gesichtszüge hatten sich vor lauter Erschöpfung entspannt. Er hatte die Augen halb geschlossen und war zurückgesunken. Dann hatte er die Augen plötzlich wieder geöffnet.
»Sie ist eine von den Alten«, sagte er. »Wenn sie das herausbekommen, werden sie sie umbringen.« Dann hatte er die Augen erneut geschlossen und nichts mehr gesagt, bis die anderen sie bei Tagesanbruch fanden.
Im klaren Licht des Herbstmorgens betrachtet, in sicherem Abstand vom heulenden Wind und den tanzenden Flammen jener vergangenen Nacht auf dem Berg, war sich Roger einigermaßen sicher, dass Jamie nur im Nebel seines Fiebers umhergewandert war und die Sorge um seine Frau sich mit den Phantomen vermischt hatte, die dem Gift in seinem Blut entsprangen. Dennoch ließ ihn der Gedanke nicht los.
»
Er konnte doch nicht etwa … vielleicht ja doch. Selbst in Rogers eigener Zeit hatten die Menschen in den Highlands einen starken, wenn auch weniger offen zugegebenen Glauben an »die anderen« im Blut. Jetzt? Fraser glaubte unverhohlen an Geister – von Heiligen und Engeln ganz zu schweigen. In Rogers zynischer Betrachtungsweise gab es keinen großen Unterschied dazwischen, ob man der Heiligen Genoveva eine Kerze anzündete oder den Elfen ein Schüsselchen Milch hinstellte.
Andererseits war ihm unangenehm bewusst, dass auch er sich nie an einer solchen Milchgabe vergriffen hätte, die für die anderen gedacht war, oder einen Glücksbringer angerührt hätte, der über einem Scheunentor oder einem Türbalken hing – und das nicht nur aus Respekt gegenüber der Person, die ihn dort angebracht hatte.