Jetzt, wo die Wahrheit heraus war, sah Duncan etwas ruhiger aus. Er nickte.
»Aye, so ist es«, pflichtete er Jamie bei. »Ich kann ihn nicht an den Galgen wandern lassen – aber was soll ich wegen des Leutnants unternehmen? Ich muss an die Marine denken, von Sheriffs und Magistraten ganz zu schweigen.« Da hatte er unleugbar Recht. Der Reichtum von River Run hing zu einem großen Teil von den Kontrakten mit der Marine über Holz und Teer ab, und Leutnant Wolff war der Verbindungsoffizier gewesen, der für diese Kontrakte zuständig war. Ich konnte mir vorstellen, dass die Marine Seiner Majestät einen Lieferanten, der den örtlichen Repräsentanten dieser Institution umbrachte, ziemlich schief ansehen würde, ganz gleich, wie seine Entschuldigung lautete. Das Gesetz in Person von Sheriff und Magistraten mochte vielleicht ein Auge zukneifen – aber nicht, was den Täter selbst betraf.
Ein Sklave, der das Blut eines Weißen vergoss, war automatisch des Todes, ganz gleich, ob er provoziert worden war. Es spielte keine Rolle, wie es dazu gekommen war – selbst wenn ein Dutzend Zeugen bestätigten, dass Wolff Duncan angegriffen hatte, würde es für Ulysses keine Rettung geben. Wenn es jemand herausfand. Ich begann die Atmosphäre der Verzweiflung zu verstehen, die über River Run hing; den anderen Sklaven war sehr wohl bewusst, was geschehen konnte.
Jamie rieb sich mit dem Handrücken über das Kinn.
»Äh … wie hat er es denn … ich meine, könnte man denn nicht sagen, dass du es selbst gewesen bist, Duncan? Es war schließlich Notwehr – und mir ist bekannt, dass der Mann mit dem Vorsatz nach River Run gekommen ist, dich zu ermorden, um dann meine Tante mit Gewalt zu ehelichen oder sie zumindest so lange als Geisel zu nehmen, bis sie sich dazu einschüchtern ließ, ihm von dem Gold zu erzählen.«
»Gold?« Duncan machte ein verständnisloses Gesicht. »Aber hier gibt es kein Gold. Ich dachte, das hätten wir letztes Jahr schon klargestellt.«
»Der Leutnant und seine Genossen waren aber der Meinung, dass es doch welches gibt«, sagte ich zu ihm. »Aber das kann Jamie euch später erzählen. Was genau ist denn aus dem Leutnant geworden?«
»Ulysses hat ihm die Kehle durchgeschnitten«, sagte Duncan und schluckte, so dass der Adamsapfel in seiner eigenen Kehle auf und ab hüpfte. »Nichts, was ich lieber sagen würde, als dass ich es gewesen bin, aye, nur …«
Abgesehen davon, dass es ein Problem darstellte, jemandem mit einer Hand die Kehle durchzuschneiden, war es offenbar nicht zu übersehen, dass es ein Linkshänder gewesen war, der dem Leutnant die Kehle durchgeschnitten hatte – und Duncan hatte schließlich keine linke Hand.
Ich wusste zwar zufällig, dass Jocasta Cameron – genau wie ihr Neffe – Linkshänderin war, doch es kam mir taktvoller vor, dies im Augenblick nicht zu erwähnen. Ich sah Jamie an, der beide Augenbrauen hochzog.
»Wo
»Wahrscheinlich im Stall, wenn er sich nicht schon nach Westen aufgemacht hat.« Da sie wusste, dass Ulysses ein toter Mann sein würde, sobald irgendjemand die Wahrheit über den Tod des Leutnants erfuhr, hatte Jocasta ihren Butler angewiesen, ein Pferd zu satteln und in die Berge zu fliehen, falls jemand kam.
Jamie holte tief Luft und rieb sich beim Nachdenken mit der Hand über den Kopf.
»Nun denn. Ich glaube, es ist wohl das Beste, wenn der Leutnant verschwindet. Wo hast du ihn denn jetzt untergebracht, Duncan?«
In der Gegend von Duncans Mund zuckte ein Muskel, als er beklommen zu lächeln versuchte.
»Ich glaube, er liegt in der Barbecuegrube,
Jamies Augenbrauen hoben sich aufs Neue, doch er nickte nur.
»Aye, nun denn. Lass das nur meine Sache sein, Duncan.«
Ich gab Anweisung, Duncan Honigwasser und einen Tee aus Wasserhanf und Kirschbaumrinde zu verabreichen, und trat dann mit Jamie ins Freie, um zu überlegen, auf welche Weise man Wolff verschwinden lassen könnte.
»Das Einfachste wäre wohl, ihn irgendwo zu vergraben«, sagte ich.
»Mmpfm«, sagte Jamie. Er hob die Kiefernfackel, die er mitgenommen hatte, und warf einen stirnrunzelnden Blick auf das mit Jute bedeckte Häufchen in der Grube. Der Leutnant war mir zwar durch und durch unsympathisch gewesen, doch jetzt sah er ausgesprochen Mitleid erregend aus.
»Vielleicht. Andererseits – die Sklaven wissen alle, was geschehen ist. Wenn wir ihn hier auf dem Gelände vergraben, werden sie auch das wissen. Natürlich würden sie es niemandem sagen – aber er wird hier herumspuken, aye?«
Mir lief ein Schauer über den Rücken, der genauso sehr von seinem beiläufigen Tonfall wie von den Worten selbst herrührte, und ich zog mein Schultertuch fester um mich.
»Herumspuken?«
»Aye, natürlich. Ein Mordopfer, das hier ums Leben gekommen ist und ungerächt versteckt wurde?«