»Und das überrascht dich?«, fragte ich ihn leicht gereizt. »Wie lange ist Hector Cameron tot, vier Jahre?«
»Nun, ja, aber das ist nicht –«
»
Sie flackerte, ging aber nicht aus, und ich hob sie rasch wieder auf und schwenkte sie, um die Flamme anzufachen. Die Flamme wuchs und beruhigte sich und warf ein rötliches Glühen auf Jocasta, die hinter uns in ihrem weißen Nachthemd auf dem Weg stand wie ein Gespenst. Phaedre kauerte hinter ihrer Herrin, und von ihrem Gesicht war kaum mehr zu sehen als das kurze Aufleuchten ihrer Augen in der Dunkelheit. Die Augen sahen angsterfüllt aus, als sie jetzt von mir zu Jamie und dann zu dem dunklen Loch in der Fassade des Mausoleums huschten.
»Was ich hier mache? Ich schaffe Leutnant Wolff beiseite, was sonst?« Jamie, der über das plötzliche Auftauchen seiner Tante genauso erschrocken war wie ich, klang leicht gereizt. »Lass mich nur machen, Tante Jocasta. Du brauchst dich nicht damit zu befassen.«
»Du kannst nicht – nein, du darfst Hectors Grabkammer nicht öffnen!« Jocastas lange Nase zuckte, denn offensichtlich fing auch sie den Verwesungsgeruch auf – der zwar schwach, aber deutlich war.
»Mach dir keine Sorgen, Tante Jocasta«, sagte Jamie. »Geh wieder ins Haus. Ich komme schon zurecht. Es wird alles gut.«
Sie ignorierte seine beschwichtigenden Worte und näherte sich weiter, wobei sie mit den Händen blind in der Luft herumtastete.
»Nein, Jamie! Das darfst du nicht. Verschließe es wieder. Schließe es, in Gottes Namen!«
Die Panik in ihrer Stimme war nicht zu überhören, und ich sah, wie Jamie verwirrt die Stirn runzelte. Er ließ den Blick unsicher von seiner Tante zu dem Loch im Mausoleum schweifen. Der Wind hatte nachgelassen, doch jetzt erhob er sich wieder und blies einen noch viel stärkeren Todesgeruch in unsere Richtung. Jamies Miene änderte sich. Ohne die Protestrufe seiner Tante zu beachten, schlug er mehrmals mit dem eingewickelten Hammer zu und löste so weitere Blöcke.
»Bring mir die Fackel, Sassenach«, sagte er und legte den Hammer hin. Mit einem Gefühl schleichenden Entsetzens leistete ich ihm Folge.
Schulter an Schulter blinzelten wir durch die schmale Lücke zwischen den Blöcken. Innen standen zwei Särge aus poliertem Holz, jeder auf einem Marmorsockel. Und zwischen ihnen auf dem Boden …
»Wer ist das, Tante Jocasta?« Jamies Stimme klang ganz leise, als er sich zu ihr umdrehte.
Sie stand da wie gelähmt. Der Musselinstoff ihres Nachthemds umspielte im Wind ihre Beine, und der Luftzug zupfte weiße Haarsträhnen unter ihrer Haube hervor. Ihr Gesicht war erstarrt, doch ihre blinden Augen huschten hin und her und suchten nach dem nicht vorhandenen Ausweg.
Jamie trat vor und packte sie fest am Arm, so dass sie aus ihrer tranceähnlichen Erstarrung auffuhr.
»
Ihr Mund arbeitete, versuchte, Worte zu bilden. Sie hielt inne, schluckte, versuchte es erneut, und ihre Augen irrten immer noch über seine Schulter hinweg, wo sie Gott weiß was sahen. Hatte sie ihr Augenlicht noch besessen, als sie ihn hier hineinlegten, fragte ich mich. Sah sie die Szene in der Erinnerung vor sich?
»Sein Name – sein Name war Rawlings«, sagte sie schwach, und in meiner Brust sauste etwas nieder wie ein Eisengewicht.
Ich muss mich bewegt oder ein Geräusch gemacht haben, denn Jamie richtete den Blick auf mich. Er streckte die Hand nach der meinen aus und hielt sie fest, während sein Blick zurück zu Jocasta wanderte.
»Wie?«, fragte er ruhig, doch in einem Tonfall, der sie warnte, dass er keine Ausflüchte dulden würde.
Da schloss sie die Augen und seufzte, und ihre kräftigen Schultern sackten plötzlich in sich zusammen.
»Hector hat ihn umgebracht«, sagte sie.
»Oh, aye?« Jamie warf einen zynischen Blick auf die Särge im Inneren des Mausoleums und auf den zusammengekauerten Haufen, der zwischen ihnen auf dem Boden lag. »Das ist ja beeindruckend. Ich wusste gar nicht, dass mein Onkel über solche Fähigkeiten verfügt.«
»Vorher.« Ihre Augen öffneten sich wieder, doch sie sprach dumpf, so als spielte jetzt nichts mehr eine Rolle. »Er ist Arzt gewesen, dieser Rawlings. Er war schon einmal hier gewesen, um sich meine Augen anzusehen. Als Hector krank wurde, hat er ihn erneut gerufen. Ich kann nicht sagen, was genau geschehen ist, aber Hector hat ihn dabei erwischt, dass er seine Nase in Dinge steckte, die er besser hätte ruhen lassen, und hat ihm den Schädel eingeschlagen. Hector war ein sehr aufbrausender Mann.«
»Das kann man wohl sagen«, sagte Jamie und warf erneut einen Blick auf Dr. Rawlings’ Leiche. »Wie ist er hier hineingekommen?«