»Ich habe ihn laufen lassen«, sagte Jamie leise. »Und es hat nur böse Folgen gehabt. Kann ich ihn frei herumlaufen lassen, obwohl ich weiß, was für ein Mensch er ist und dass ich ihn entfesselt habe, damit er Verderben über andere bringt? Es ist, als ließe man einen tollwütigen Hund laufen – und du würdest doch wohl nicht wollen, dass ich das tue.«
Seine Hand war hart, seine Finger lagen kalt auf den meinen.
»Du hast ihn einmal gehen lassen; die Krone hat ihn wieder eingefangen – wenn er jetzt frei ist, ist es doch nicht deine Schuld!«
»Vielleicht ist es nicht meine Schuld, dass er frei ist«, räumte er ein, »aber es ist doch wohl meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass er es nicht bleibt – wenn ich kann.«
»Deine Pflicht liegt bei deiner Familie!«
Er nahm mein Kinn in seine Hand, neigte den Kopf und sah mich durchdringend an.
»Du glaubst, ich würde sie gefährden? Jemals?«
Ich stand einige Sekunden stocksteif da und leistete ihm Widerstand, dann ließ ich kapitulierend meine Schultern und meine Augenlider sinken. Bebend atmete ich tief ein. Ich würde nicht ganz aufgeben.
»Auch die Jagd ist nicht gefahrlos, Jamie«, sagte ich leise. »Das weißt du.«
Sein Griff entspannte sich, doch seine Hand hielt immer noch mein Gesicht umfasst, seine Finger warm auf meinem kalten Wangenknochen. Sein Daumen fuhr die Umrisse meiner Lippen nach.
»Ich weiß«, flüsterte er. Der Nebel seines Atems berührte meine Wange. »Aber ich bin schon sehr, sehr lange Jäger, Claire. Ich werde sie nicht in Gefahr bringen – das schwöre ich.«
»Sondern nur dich selbst? Was glaubst du denn, was aus uns wird, wenn du –«
Mein Blick fiel aus dem Augenwinkel auf Brianna. Sie hatte sich halb umgedreht, als sie uns sah, und strahlte jetzt freudig über das, was sie für eine Szene elterlicher Zuneigung hielt. Jamie sah sie ebenfalls; ich hörte sein leises Prusten der ironischen Belustigung.
»Mir wird nichts zustoßen«, sagte er entschieden und nahm mich dann fest in den Arm, um jede weitere Widerrede mit einem ausgiebigen Kuss zu ersticken. Aus der Richtung des Feuers ertönte schwacher Applaus.
»
»
»Es wird alles gut«, erwiderte er flüsternd und drückte mir die Hand. »Vertrau mir, Sassenach.«
Kapitel 11
Stolz
Roger blickte nicht zurück, doch der Gedanke an die Findlays begleitete ihn auf seinem Weg, der ihn bergab zwischen kleinen Sträuchern und zertretenen Grasbüscheln hindurchführte.
Die beiden Jungen waren blond und hellhäutig, klein – wenn auch größer als ihre Mutter –, aber breitschultrig. Angesichts der Alterslücke zwischen den älteren Jungen und ihren kleineren Geschwistern schloss Roger, dass Mrs. Findlay wahrscheinlich zweimal geheiratet hatte. Und allem Anschein nach jetzt wieder verwitwet war.
Vielleicht sollte er Brianna von Joan Findlay erzählen, dachte er, ein weiterer Beweis, dass Ehe und Geburt nicht unbedingt tödlich für eine Frau enden mussten. Vielleicht war es aber auch besser, dieses Thema eine Zeit lang nicht mehr anzusprechen.
Doch ganz abgesehen von dem Gedanken an Joan und ihre Kinder verfolgten ihn die sanften, leuchtenden Augen Iain Mhors. Wie alt mochte er sein?, fragte sich Roger und klammerte sich an einen biegsamen Kiefernzweig, um nicht auf dem losen Kies auszurutschen, der an dieser Stelle auf dem Weg lag. Es war ihm absolut nicht anzusehen; sein bleiches, verzerrtes Gesicht war faltig und verhärmt – doch vor Schmerzen und Strapazen, nicht vom Alter. Er war nicht größer als ein etwa zwölfjähriger Junge, aber Iain Mhor musste älter sein als sein Namensvetter – und Iain Og war mindestens sechzehn.
Wahrscheinlich war er jünger als Joan; vielleicht aber auch nicht. Sie hatte ihn respektvoll behandelt und Roger zu ihm geführt, so wie jede Frau einen Besucher selbstverständlich zum Oberhaupt der Familie brachte. Also nicht sehr viel jünger – vielleicht dreißig oder etwas älter?
Himmel, dachte er, wie überlebte ein solcher Mann nur so lange in einer Zeit wie dieser? Doch als er sich verlegen von Iain Mhor verabschiedet hatte, war eins der kleinen Mädchen von der Rückseite her in den groben Unterschlupf gekrochen. Dabei hatte sie ein Schüsselchen Milchpudding vor sich hergeschoben und sich dann ganz selbstverständlich mit dem Löffel in der Hand an den Kopf ihres Onkels gesetzt. Iain Mhor hatte genug Gliedmaßen und Finger – er hatte eine Familie.
Bei diesem Gedanken spürte er ein Ziehen in der Brust, irgendwo zwischen Schmerz und Freude – das sich in Beklommenheit verwandelte, als er sich an Joan Findlays Worte erinnerte.