»Warum haltet Ihr –«, begann er, richtete sich dann abrupt auf und schloss den Mund, da ihn offensichtlich sein Stiefvater, der liebenswürdig über seinen Becher hinweglächelte, unter dem Tisch getreten hatte.
»Es ist sehr freundlich von Euch, uns aufzunehmen, Mrs. Fraser«, lenkte Lord John ab und warf seinem Stiefsohn einen warnenden Blick zu. »Ich muss mich für unsere unerwartete Ankunft entschuldigen; ich hoffe, wir machen Euch keine allzu großen Unannehmlichkeiten.«
»Überhaupt nicht«, sagte ich und fragte mich, wo genau wir sie für die Nacht unterbringen sollten. William konnte wohl mit Ian im Schuppen schlafen; es war auch nicht schlimmer, als im Freien zu übernachten, wie er es in den vergangenen Tagen getan hatte. Doch der Gedanke, ein Bett mit Jamie zu teilen, während Lord John eine Armlänge weiter auf dem Rollbett lag …
An diesem prekären Punkt erschien Ian, der seinem üblichen Instinkt für die Mahlzeiten folgte. Er wurde der Runde vorgestellt, und das Durcheinander der Erklärungen und gegenseitigen Verbeugungen auf engstem Raum war so groß, dass die Teekanne umfiel.
Ich benutzte dieses kleine Unglück als Vorwand und schickte Ian los, um William die Sehenswürdigkeiten von Wald und Bach zu zeigen, und gab ihnen ein kleines Paket mit Marmeladenbroten und eine Flasche Cidre mit. Von ihrer störenden Gegenwart befreit, füllte ich die Becher mit Brandy, setzte mich wieder hin und fixierte Lord John mit zusammengekniffenen Augen.
»Was macht Ihr hier?«, sagte ich ohne Umschweife.
Er riss seine hellblauen Augen weit auf, senkte dann seine ausgesprochen langen Wimpern und klimperte mich damit an.
»Ich bin nicht in der Absicht hergekommen, Euren Gatten zu verführen, das versichere ich Euch«, sagte er.
»John!« Jamies Faust schlug mit solcher Wucht auf den Tisch, dass die Teetassen klapperten. Seine Wangen waren dunkelrot angelaufen, und er verzog das Gesicht in verlegener Wut.
»Entschuldigung.« Im Gegensatz zu ihm war Grey blass geworden, obwohl er ansonsten nicht sichtbar angegriffen war. Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass ihn dieses Zusammentreffen möglicherweise genauso nervös machte wie Jamie.
»Entschuldigung, Ma’am«, sagte er und nickte mir höflich zu. »Das war unverzeihlich. Ich würde Euch allerdings gern darauf hinweisen, dass Ihr mich seit unserem Zusammentreffen anseht, als hättet Ihr mich vor einem berüchtigten Badehaus in der Gosse gefunden.« Jetzt entflammte auch sein Gesicht in schwachem Rot.
»Tut mir leid«, hauchte ich. »Sagt nächstes Mal etwas eher Bescheid, dann bemühe ich mich um einen passenden Gesichtsausdruck.«
Er stand plötzlich auf und ging zum Fenster, wo er mit dem Rücken zum Zimmer stehen blieb, die Hände auf die Fensterbank gestützt. Es gab eine zunehmend peinliche Pause. Ich wollte Jamie nicht ansehen; stattdessen gab ich großes Interesse an einer Flasche mit Fenchelsamen vor, die auf dem Tisch stand.
»Meine Frau ist gestorben«, sagte er abrupt. »Auf dem Schiff von England nach Jamaica. Sie war unterwegs, um dort zu mir zu stoßen.«
»Es tut mir leid, das zu hören«, sagte Jamie leise. »Und der Junge ist bei ihr gewesen?«
»Ja.« Lord John drehte sich um und lehnte sich an die Fensterbank, so dass die Frühlingssonne seinen ordentlich frisierten Kopf umrahmte und ihn mit einem leuchtenden Strahlenkranz umgab. »Willie hat … Isobel sehr nahegestanden. Sie war die einzige Mutter, die er seit seiner Geburt hatte.«
Willies wirkliche Mutter, Geneva Dunsany, war bei seiner Geburt gestorben; sein angeblicher Vater, der Graf von Ellesmere, war am selben Tag durch einen Unfall ums Leben gekommen. So viel hatte Jamie mir bereits erzählt. Außerdem, dass Genevas Schwester Isobel sich um den verwaisten Jungen gekümmert hatte und dass Lord John Isobel geheiratet hatte, als Willie ungefähr sechs war – zu der Zeit, als Jamie aus dem Dienst der Dunsanys ausgeschieden war.
»Es tut mir sehr leid«, sagte ich aufrichtig und meinte damit nicht nur den Tod seiner Frau.
Grey blickte mich an, und der Hauch eines Nickens deutete an, dass er mich verstand.
»Meine Anstellung als Gouverneur war fast beendet; ich hatte vorgehabt, mich vielleicht auf der Insel niederzulassen, falls das Klima meiner Familie zusagte. So aber …« Er zuckte mit den Achseln.
»Willie war untröstlich über den Verlust seiner Mutter; es schien ratsam, ihn irgendwie abzulenken. Es bot sich fast augenblicklich die Gelegenheit dazu; der Besitz meiner Frau umfasst ein großes Anwesen in Virginia, das sie William vermacht hatte. Nach ihrem Tod erreichte mich eine Anfrage des Verwalters der Plantage, der um Instruktionen bat.«
Er entfernte sich vom Fenster und kehrte langsam zum Tisch zurück, wo wir saßen.