Schwitzend ließ Roger die Kiste auf den Boden seines Wohnzimmers fallen und ging in das winzige Schlafzimmer, wo er in einer Schublade herumkramte. Mit einem Schraubenzieher und einer Bierflasche bewaffnet, kehrte er zurück, um sich mit der Kiste zu befassen. Er versuchte, seine zunehmende Aufregung im Zaum zu halten, doch es gelang ihm nicht.
»Geschichte, was?«, brummte er. »Museumsreif, so wie du sie eingepackt hast.« Der Inhalt war in zwei Kartons verpackt, die durch eine Lage Holzwolle voneinander getrennt waren. Als er den inneren Karton öffnete, kam eine geheimnisvolle Sammlung von ungleichmäßigen, in Zeitungspapier gewickelten Bündeln und kleineren Kartons zum Vorschein.
Er wählte einen stabilen Schuhkarton und warf einen Blick hinein. Fotografien; alte mit gezahnten Rändern und neuere, hochglänzend und farbig. Der Rand eines großen Studioporträts stand vor, und er zog es heraus.
Es war Claire Randall, fast so, wie er sie das letzte Mal gesehen hatte; warme, ungewöhnliche bernsteinfarbene Augen unter einem Gewirr brauner Seidenlocken, der Hauch eines Lächelns auf dem vollen, sanften Mund. Er schob es in den Karton zurück und kam sich wie ein Mörder vor.
Der Gegenstand, der zwischen den Lagen aus Zeitung zum Vorschein kam, machte der Bezeichnung Flickenpuppe alle Ehre. Ihr aufgemaltes Gesicht war so verblichen, dass nur die Knopfaugen übrig geblieben waren, die leer und herausfordernd vor sich hinstarrten. Ihr Kleid war zerrissen, war aber sorgfältig geflickt worden, der weiche Stoffkörper verfärbt, aber sauber.
Das nächste Bündel förderte einen zerknitterten Mickymaus-Hut zutage, zwischen dessen hochstehenden Ohren immer noch eine winzige rosa Schaumgummischleife befestigt war. Eine billige Spieldose, die »Over the Rainbow« spielte, als er sie öffnete. Ein Stoffhund, dessen Synthetikfell stellenweise durchgescheuert war. Ein ausgeblichenes, rotes Sweatshirt, Männergröße Medium. Es hätte Brianna passen können, doch irgendwie war Roger sich sicher, dass es Franks gewesen war. Ein abgetragener Morgenmantel aus maronenfarbener, gesteppter Seide. Er folgte einer Eingebung und presste ihn an seine Nase. Claire. Ihr Duft ließ sie lebendig vor ihm erstehen, ein schwacher Geruch nach Moschus und grünen Pflanzen, und er ließ das Kleidungsstück erschüttert fallen.
Unter den Alltagsdingen befand sich ein schwererer Schatz.
Drei große, flache Kästen am Boden der Kiste machten den Großteil ihres Gewichtes aus. Jede enthielt ein silbernes Essbesteck, sorgfältig eingeschlagen in graues Antibeschlagtuch. In jedem Kasten lag eine maschinengeschriebene Notiz, auf der die Herkunft und Geschichte des Silbers stand.
Ein versilbertes Besteck aus Frankreich mit Bändelwerk an den Rändern, Herstellerinsignien DG. Erworben 1842 von William S. Randall. Ein altenglisches Muster, George III., erworben 1776 von Edward K. Randall. Ein Rocaillemuster, von Charles Boyton, erworben 1903 von Quentin Lambert Beauchamp, Hochzeitsgeschenk für Franklin Randall und Claire Beauchamp. Das Familiensilber.
Mit wachsender Verwunderung fuhr Roger fort und legte die einzelnen Fundstücke vorsichtig neben sich auf den Boden, die Kunst- und Alltagsgegenstände, die Brianna Randalls Geschichte ausmachten. Geschichte. Himmel, warum hatte sie es so genannt?
Beunruhigung gesellte sich zu seiner Verwunderung, als ihm ein neuer Gedanke kam, und er griff nach dem Deckel und überprüfte den Adressaufkleber. Oxford. Ja, sie
In der äußersten Ecke steckte ein Schmuckkästchen, ein kleiner, aber schwerer Behälter. Darin befanden sich diverse Ringe. Broschen und Ohrringe. Die Cairngormbrosche, die er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, war da. Halsbänder und -ketten. Zwei Dinge fehlten.
Das Silberarmband, das er ihr geschenkt hatte – und die Perlen ihrer Großmutter.
»Ach du lieber Himmel.« Er sah noch einmal nach, nur um ganz sicherzugehen, schüttete dann das glitzernde Durcheinander aus und verteilte es auf seiner Tagesdecke. Keine Perlen. Ganz sicher keine Kette aus schottischen Barockperlen, durchsetzt mit antiken Goldkügelchen.
Tragen würde sie sie mit Sicherheit nicht, nicht auf einer Ingenieurstagung in Sri Lanka. Die Perlen waren für sie ein Erbstück, kein Schmuck. Sie trug sie nur selten. Sie waren ihre Verbindung mit …
»Das hast du nicht getan«, sagte er laut. »Gott, sag mir, dass du es nicht getan hast!«
Er ließ das Schmuckkästchen auf das Bett fallen und donnerte die Treppe hinunter zum Telefonzimmer.