Das Rascheln der Nachtgeräusche trat langsam in den Hintergrund seines Bewusstseins, während er wartete und auf die Stimme lauschte. Er hatte sie seit Jahren nicht mehr gehört, hatte nicht damit gerechnet, sie jemals wieder zu hören – doch er hatte ihr Echo heute Nacht bereits einmal gehört; das Phantom der Wut in den Augen seiner Tochter aufflammen sehen und gespürt, wie dessen Flammen auch ihm das Herz versengten.
Besser, es herauszufordern und ihm offen gegenüberzutreten, als es auf der Lauer liegen zu lassen. Wenn er sich seinen eigenen Dämonen nicht stellen konnte, dann konnte er auch die ihren nicht überwinden. Er berührte eine Prellung an seinem Oberschenkel und fand einen seltsamen Trost in dem Schmerz.
Zuerst blieb die Stimme aus; für einen Augenblick hoffte er, dass sie gar nicht kommen würde – vielleicht
»Zuerst sanft«, hauchte sie. »Sachte. Vorsichtig, als wärst du mein neugeborener Sohn. Sanft, aber so lange, dass du vergessen wirst, dass es einmal eine Zeit gab, in der ich deinen Körper nicht besaß.«
Ringsum stand die Nacht still, hielt inne, so wie die Zeit damals innegehalten hatte, als er am Rand eines schreckenerregenden Abgrundes schwebte, abwartete. Die nächsten Worte abwartete, die er schon kannte und mit denen er rechnete, aber dennoch …
»Und dann«, sagte die Stimme liebevoll, »dann werde ich dir große Schmerzen zufügen. Und du wirst mir danken und nach mehr verlangen.«
Er stand völlig still, das Gesicht den Sternen zugewandt. Kämpfte gegen den Sog der Wut an, die ihm ins Ohr murmelte, den Puls der Erinnerung in seinem Blut. Dann ergab er sich, ließ sie kommen. Er zitterte bei der Erinnerung an seine Hilflosigkeit und biss vor Wut die Zähne zusammen – und starrte dennoch reglos zum leuchtenden Himmel empor und beschwor die Namen der Sterne wie die Worte eines Gebetes herauf, gab sich der Leere über ihm hin, während er versuchte, sich hier am Boden zu verlieren.
Mit großer Anstrengung ließ er los. Drehte seine Handflächen himmelwärts, eine Geste der Unterwerfung. Griff suchend über die Sterne hinaus. Die Worte formten sich still in seinem Bewusstsein, gewohnheitsmäßig, so still, dass er sie gar nicht bemerkte, bis er sie als Flüstern von seinen Lippen widerhallen hörte.
Er atmete langsam und tief. Suchte, rang; kämpfte darum, loslassen zu können.
Wartete in Leere, in Zuversicht. Und dann kam die Gnade; die Vision, die er brauchte; die Erinnerung an Jack Randalls Gesicht in Edinburgh, bis ins Innerste erschüttert angesichts der Gewissheit, dass sein Bruder tot war. Und er spürte erneut die Gabe des Mitleids, das ihn so sacht überkam wie die Landung einer Taube.
Er schloss die Augen und spürte, wie sich seine blutenden Wunden wieder reinigten, während der Sukkubus seine Klauen von seinem Herzen nahm.
Er seufzte und spürte das rauhe Holz des Zaunes tröstend und fest unter seinen Handflächen, als er jetzt die Hände wieder umdrehte. Der Dämon war fort. Er war ein Mensch gewesen, Jack Randall; mehr nicht. Und mit der Erkenntnis seiner gemeinen, zerbrechlichen Menschlichkeit löste sich alle Macht vergangener Furcht und vergangenen Schmerzes in Rauch auf.
Seine Schultern fielen herab, von ihrer Bürde befreit.
»Geh in Frieden«, flüsterte er dem Toten und sich selber zu. »Dir ist vergeben.«