Claire Randall, die Ehefrau des prominenten Historikers Dr. Franklin W. Randall, war im späten Frühjahr 1946 während eines Urlaubs in Inverness verschwunden. Man hatte zwar den Wagen gefunden, mit dem sie unterwegs gewesen war, doch die Frau blieb spurlos verschwunden. Nachdem sich alle Suchanstrengungen als fruchtlos erwiesen hatten, waren die Polizei sowie der gramerfüllte Ehemann letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass Claire Randall ermordet worden sein musste, vielleicht von einem Landstreicher, und dass ihre Leiche irgendwo in den Felshügeln dieser Gegend versteckt worden sein musste.
Und 1948 war Claire Randall zurückgekehrt. Verwahrlost und zerlumpt hatte man sie in der Nähe der Stelle gefunden, an der sie verschwunden war. Sie schien zwar körperlich gesund zu sein, wenn auch geringfügig unterernährt, doch Mrs. Randall war orientierungslos und konfus.
Bei der Vorstellung, dass Claire Randall irgendwie konfus sein könnte, zog Roger die Augenbrauen hoch. Er blätterte die restlichen Ausschnitte durch, doch sie enthielten kaum mehr als die Information, dass man Mrs. Randall im örtlichen Krankenhaus gegen den Schock und die Folgen der Strapazen behandelte. Einige Fotos zeigten den vermutlich überglücklichen Ehemann Frank Randall. Er sah eher verdattert als überglücklich aus, dachte Roger kritisch, nicht, dass man ihm das verübeln konnte.
Neugierig betrachtete er die Fotos. Frank Randall war ein schlanker, attraktiver Mann von aristokratischem Aussehen gewesen. Dunkelhaarig und von einer verwegenen Eleganz, die sich in seiner Körperhaltung ausdrückte, als ihn der Fotograf auf dem Weg zu seiner zurückgewonnenen Frau überrascht hatte.
Rogers Finger folgte der Kontur des langen, schmalen Kinns und der Rundung des Schädels, und er begriff, dass er den Vater nach Spuren seiner Tochter absuchte. Fasziniert von diesem Gedanken, erhob er sich und holte eins von Frank Randalls Büchern aus dem Regal. Hinten im Schutzumschlag fand er ein besseres Bild. Das Autorenfoto zeigte Frank Randall frontal und in Farbe. Nein, sein Haar war definitiv dunkelbraun, nicht rot. Diese brennende Glorie musste von einem Großvater oder einer Großmutter gekommen sein, zusammen mit den dunkelblauen Augen, die schräg standen wie die einer Katze. Sie waren wunderschön, hatten aber nichts mit den Augen ihrer Mutter gemeinsam. Und auch nichts mit denen ihres Vaters. Sosehr er es auch versuchte, er konnte keine Spur der flammenden Göttin im Gesicht des berühmten Historikers sehen.
Mit einem Seufzer schloss er das Buch und legte die Zeitungsausschnitte wieder zusammen. Er musste wirklich mit diesen Grübeleien aufhören und sich sputen, sonst würde er in einem Jahr noch hier sitzen.
Er war im Begriff, die Ausschnitte auf den Stapel zu legen, den er verwahren wollte, als ihm einer ins Auge fiel, der VON DEN ELFEN ENTFÜHRT? überschrieben war. Oder vielmehr nicht der Ausschnitt, sondern das Datum, das genau über der Schlagzeile stand. 6. Mai 1948.
Er legte den Zeitungsausschnitt sacht aus der Hand, als wäre er eine Bombe, die in seinen Fingern explodieren könnte. Er schloss die Augen und versuchte, sich an seine Unterhaltung mit den Randalls zu erinnern. »Man darf in Massachusetts erst ab zwanzig Alkohol trinken«, hatte Claire gesagt. »Brianna hat erst in sieben Monaten Geburtstag.« Also neunzehn. Brianna Randall war neunzehn.
Weil er nicht so schnell zurückrechnen konnte, erhob er sich und wühlte sich durch den ewigen Kalender, den der Reverend ein wenig abseits an seiner überfüllten Wand hängen hatte. Er fand das Datum, und dann stand er da, den Finger auf das Datum gepresst, und das Blut sackte ihm aus dem Gesicht.
Als Claire Randall nach ihrem mysteriösen Verschwinden schließlich wieder auftauchte, war sie verwahrlost, unterernährt, konfus … und schwanger.
Irgendwann schlief Roger doch noch ein, doch weil er so lange aufgeblieben war, erwachte er erst spät mit roten Augen und beginnenden Kopfschmerzen, an denen weder eine kalte Dusche noch Fionas Gezwitscher beim Frühstück viel ändern konnte.
Das Gefühl war so drückend, dass er seine Arbeit liegen ließ und aus dem Haus ging, um einen Spaziergang zu machen. Während er durch den leichten Regen schritt, stellte er fest, dass die frische Luft zwar gegen den Kopfschmerz half, dass sie ihm aber auch den Kopf so weit klärte, dass er wieder über die möglichen Schlussfolgerungen seiner Entdeckung von gestern Abend nachzudenken begann.
Brianna wusste es nicht. Das war klar daran zu erkennen, wie sie von ihrem verstorbenen Vater sprach – oder von dem Mann, den sie für ihren Vater