Ich öffnete den Mund, doch es kam kein Ton heraus. Ich schloss ihn wieder, und meine Augen ebenfalls, in der Hoffnung, dass ich den Mut wiederfinden würde, wenn ich die beiden aschfahlen Gesichter vor mir nicht mehr sehen konnte. Lass … mich … einfach … die … Wahrheit … erzählen, betete ich, ohne recht zu wissen, an wen es gerichtet war. Jamie, dachte ich.
Ich hatte schon einmal die Wahrheit erzählt. Es hatte keinen guten Ausgang genommen.
Ich presste die Augenlider noch fester zu. Wieder konnte ich die Karbolatmosphäre eines Krankenhauses riechen und das ungewohnte, gestärkte Kissen unter meiner Wange spüren. Aus dem Flur drang Franks Stimme herein, erstickt vor verdutzter Rage.
»Was soll das heißen, drängen Sie sie nicht? Sie nicht
Und die Stimme des Arztes, ein beruhigendes Murmeln. Ich fing die Worte »Wahnvorstellung« und »traumatisiert« auf und »Heben Sie es sich für später auf – nur ein wenig«, während Franks Stimme, die immer noch widersprach und unterbrach, mit sanfter Gewalt durch den Flur gedrängt wurde. Diese so sehr vertraute Stimme, die den Sturm aus Schmerz und Wut und Grauen in meinem Inneren erneut entfachte.
Ich hatte meinen Körper abwehrend zusammengerollt, mir das Kissen an die Brust gedrückt und darauf gebissen, so fest ich konnte, bis ich spürte, wie der Baumwollbezug nachgab und mir seidige Federn zwischen den Zähnen knirschten.
Ich knirschte auch jetzt mit den Zähnen, was meiner neuen Füllung nicht besonders guttat. Ich hielt inne und öffnete die Augen.
»Hört zu«, sagte ich, so sachlich ich konnte. »Es tut mir leid, ich weiß, wie es klingt. Aber es ist wahr, und daran kann ich nichts ändern.«
Diese Worte trugen nicht zu Briannas Beruhigung bei, und sie rückte dichter auf Roger zu. Er jedoch sah nicht mehr ganz so grün um die Kiemen aus und legte Anzeichen vorsichtiger Neugier an den Tag. War es möglich, dass er tatsächlich genügend Fantasie besaß, um die Wahrheit fassen zu können?
Ich schöpfte Hoffnung aus seiner Miene und öffnete meine Fäuste.
»Es sind die verfluchten Steine«, sagte ich. »Du weißt schon, dieser Steinkreis auf dem Feenhügel, westlich von hier?«
»Craigh na Dun«, murmelte Roger. »Meinst du den?«
»Richtig.« Ich atmete bewusst aus. »Vielleicht kennst du ja die Legenden, die sich um die Feenhügel ranken – ja? Von Menschen, die in Felsenhügeln in die Falle geraten und zweihundert Jahre später aufwachen?«
Brianna sah mit jeder Sekunde alarmierter aus.
»Mutter, ich finde wirklich, du solltest nach oben gehen und dich hinlegen.« Sie erhob sich halb von ihrem Sessel. »Ich könnte Fiona holen …«
Roger legte ihr die Hand auf den Arm, um sie aufzuhalten.
»Nein, warte.« Er sah mich mit dieser Art unterdrückter Neugier an, die Wissenschaftler an den Tag legen, wenn sie einen neuen Objektträger unter das Mikroskop schieben. »Erzähl weiter«, sagte er zu mir.
»Danke«, sagte ich trocken. »Keine Sorge, ich werde nicht anfangen, über Elfen zu fantasieren; ich dachte nur, du wüsstest vielleicht gern, dass die Legenden einen wahren Kern haben. Ich habe keine Ahnung, was sich tatsächlich da oben befindet oder wie es funktioniert, doch es ist so …« Ich holte tief Luft. »Es ist so, dass ich 1946 durch einen verflixten gespaltenen Stein in diesem Kreis geschritten bin und ein Stück tiefer auf dem Hang im Jahr 1743 rausgekommen bin.«
Genau so hatte ich es Frank gesagt. Er hatte mich einen Moment lang wütend angestarrt, eine Blumenvase von meinem Nachttisch ergriffen und sie zu Boden geschleudert.
Roger sah aus wie ein Wissenschaftler, dessen neue Mikrobe sich als das große Los entpuppt hat. Ich fragte mich zwar, warum, war aber zu sehr damit beschäftigt, um Worte zu ringen, die einigermaßen luzide klangen.
»Der erste Mensch, dem ich begegnet bin, war ein englischer Dragoner in voller Montur«, sagte ich. »Was mich schon auf die Idee gebracht hat, dass irgendetwas nicht stimmte.«
Rogers Gesicht wurde von einem plötzlichen Lächeln erhellt, doch Briannas Miene blieb entsetzt. »Das kann ich mir vorstellen«, sagte er.
»Das Problem war, dass ich nicht zurückkonnte.« Ich hatte das Gefühl, dass es besser war, wenn ich Roger ansprach, der zumindest geneigt schien, mir zuzuhören, ob er mir nun glaubte oder nicht.
»Es war damals nicht üblich, dass eine Dame ohne Begleitung unterwegs war, erst recht nicht mit einem bedruckten Sommerkleid und flachen Halbschuhen«, erklärte ich. »Jeder, dem ich begegnet bin, angefangen mit diesem Dragonerhauptmann, wusste, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte – aber sie wussten nicht, was. Wie auch? Ich konnte es ja damals auch nicht besser erklären als jetzt – und die Irrenhäuser waren in dieser Zeit noch unangenehmer als heute. Da wurden keine Körbe geflochten«, versuchte ich es mit einem Scherz. Es war kein großer Erfolg; Brianna verzog das Gesicht und sah noch besorgter aus als vorher.