Ein vertrautes Geräusch drang zu ihr, und sie reckte den Hals. Durch das Fenster war nicht viel zu sehen – nur die weißen, zerbrochenen Muscheln und der schlammige Sand rings um das Haus und die Spitzen der Krüppelkiefern. Doch wenn sie ihr Gesicht an den Rand des Fensters presste, konnte sie in einiger Entfernung einen schmalen Strandstreifen sehen.
Während sie hinsah, galoppierten drei Pferde darüber hinweg und verschwanden aus ihrem Gesichtsfeld – doch dann trug der Wind ihr das Gewieher der Tiere zu, und es folgten noch fünf und dann eine weitere Gruppe von sieben oder acht. Wildpferde, die Nachkommen der Iberer, die die Spanier hundert Jahre zuvor hier zurückgelassen hatten.
Es war ein bezaubernder Anblick, und sie hielt die Augen lange auf den Strand gerichtet, weil sie hoffte, dass die Pferde zurückkehren würden, doch sie taten es nicht; nur ein Pelikanschwarm zog vorbei und ein paar Möwen, die nach Fischen tauchten.
Beim Anblick der Pferde hatte sie sich ein paar Sekunden nicht mehr ganz so allein gefühlt, wenn auch nicht weniger leer. Sie war jetzt schon mindestens eine halbe Stunde in dem Zimmer, und es ertönten immer noch keine Schritte von jemandem im Flur, der ihr etwas zu essen brachte. Vorsichtig probierte sie die Tür aus und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass sie nicht abgeschlossen war.
Unten dagegen hörte sie Geräusche; es war jemand da. Und es hing ein schwaches Getreidearoma von Porridge und backendem Brot in der Luft.
Unter ständigem Schlucken, um ihren Magen zu beruhigen, bewegte sie sich auf leisen Sohlen durch das Haus und die Treppe hinunter. In einem Zimmer an der Vorderseite des Hauses erklangen Stimmen – Bonnet und Emmanuel. Ihr Zwerchfell verkrampfte sich bei diesem Klang, doch die Tür war geschlossen, und sie schlich auf Zehenspitzen daran vorbei.
Die Küche war ein Nebengebäude, das durch eine kurze Pergola mit dem Haus verbunden war, und lag in einem Hof, der zusammen mit der Rückseite des Hauses von einem Zaun umgeben war. Sie musterte die Umzäunung – hohe Palisaden, die oben angespitzt waren –, doch eins nach dem anderen – sie musste erst etwas essen.
Es war jemand in der Küche; sie konnte Töpfe klappern hören und die Stimme einer Frau, die etwas brummte. Der Essensgeruch war so kräftig, dass man sich daran anlehnen konnte. Sie drückte die Tür auf, trat ein und blieb stehen, damit die Köchin sie sehen konnte.
Dann sah sie die Köchin.
Inzwischen war sie von den Umständen so gebeutelt, dass sie nur noch blinzelte und sich sicher war, dass es Einbildung war.
»Phaedre?«
Die junge Frau fuhr herum, Augen und Mund vor Schreck weit aufgerissen.
»Oh, gütiger Himmel!« Sie blickte hektisch an Brianna vorbei, doch als sie sah, dass diese allein war, packte sie sie am Arm und zog sie auf den Hof.
»Was macht Ihr denn hier?«, wisperte sie drängend. »Wie kommt Ihr hierher?«
»Stephen Bonnet«, sagte Brianna knapp. »Wie in aller Welt hat er dich entführt? Aus River Run?« Sie konnte sich zwar nicht vorstellen, wie – oder warum –, doch seit sie entdeckt hatte, dass sie schwanger war, hatte alles den surrealen Hauch einer Halluzination an sich, und sie hatte keine Ahnung, wie viel davon der Schwangerschaft selbst zuzuschreiben war.
Doch Phaedre schüttelte den Kopf.
»Nein, Miss. Dieser Bonnet hat mich seit einem Monat. Von einem Mann namens Butler«, fügte sie hinzu und verzog den Mund zu einem Ausdruck, der klarmachte, wie sehr sie diesen Butler verabscheute.
Der Name kam Brianna vage bekannt vor. Sie glaubte, dass es der Name eines Schmugglers war; sie war ihm nie selbst begegnet, hatte den Namen aber schon mehrfach gehört. Doch es war nicht der Schmuggler, der ihre Tante mit Tee und anderen verbotenen Luxusgütern versorgte –
»Das verstehe ich nicht. Aber – warte, gibt es hier etwas zu essen?«, fragte sie, weil ihr Magen plötzlich einen Satz machte.
»Oh. Natürlich. Wartet hier.« Phaedre verschwand leichtfüßig in der Küche und war Sekunden später mit einem halben Brotlaib und einem Buttertöpfchen zurück.
»Danke.« Sie griff nach dem Brot und aß hastig etwas davon, ohne sich die Zeit zu nehmen, es mit Butter zu bestreichen, dann steckte sie den Kopf zwischen die Knie und atmete ein paar Minuten tief durch, bis die Übelkeit vorbei war.
»Tut mir leid«, sagte sie, als sie schließlich den Kopf hob. »Ich bin schwanger.«
Phaedre nickte. Offenbar überraschte sie das nicht.
»Von wem?«, fragte sie.
»Von meinem Mann«, antwortete Brianna. Ihr Ton war gereizt, doch dann begriff sie, dass es leicht hätte anders sein können, und ihr unruhiges Inneres tat einen Ruck. Phaedre war seit Monaten von River Run fort – Gott allein wusste, was ihr in dieser Zeit alles widerfahren war.
»Dann hat er Euch noch nicht lange.« Phaedre blickte zum Haus.
»Nein. Einen Monat, hast du gesagt – hast du versucht zu fliehen?«
»Einmal.« Der Mund der jungen Frau verzog sich erneut. »Habt Ihr diesen Emmanuel schon gesehen?«
Brianna nickte.