Genau wie jetzt war er damals mit der Absicht unterwegs gewesen, Stephen Bonnet umzubringen. Doch der schwer fassbare Pirat war gewarnt worden und hatte ihnen einen Hinterhalt gelegt. Einzig dem Willen Gottes – und Jamie Frasers Geschicklichkeit – war es zu verdanken, dass er nicht selbst als Kadaver in einem ähnlichen Wald geendet war und seine Gebeine von Wildschweinen verstreut zwischen den glänzenden Nadeln und den leeren weißen Muschelschalen bleichten.
Seine Kehle war wieder zugeschnürt, doch er konnte nicht schreien oder singen, um sie zu lockern.
Ich sollte beten, dachte er. Aber er konnte es nicht. Selbst die Litanei, die unaufhörlich in seinem Innern widergehallt hatte, seit er an jenem Abend erfahren hatte, dass sie fort war –
Die gezielte Absicht und das Verlangen, jemanden zu ermorden – er konnte wohl kaum erwarten, dass ein solches Gebet erhört wurde.
Im Moment beneidete er Jamie und Ian um ihren Glauben an Götter des Zorns und der Rache. Während Roarke und Moses das Fischerboot an Land gebracht hatten, hatte er gehört, wie Jamie Claire etwas zumurmelte und ihre Hände in die seinen nahm. Und dann hatte er gehört, wie sie ihn auf Gälisch segnete, indem sie den Erzengel Michael anrief, den Herrscher über die Domäne des Krieges, und so einen Kämpfer auf dem Weg in die Schlacht segnete.
Ian hatte lediglich im Schneidersitz dagesessen und mit verschlossener Miene beobachtet, wie das Ufer näher kam. Wenn er betete, war es nicht zu sagen, zu wem. Doch als sie landeten, war er am Ufer eines der zahllosen Kanäle stehen geblieben, hatte sich mit den Fingern etwas Schlamm genommen und sich sorgfältig das Gesicht angemalt, indem er eine Linie von der Stirn zum Kinn zog, dann vier parallele Streifen auf seiner linken Wange und einen breiten dunklen Kreis um das rechte Auge. Es war bemerkenswert enervierend.
Ganz offensichtlich hatte keiner von ihnen die geringsten Bedenken bei der Sache, und sie zögerten keine Sekunde, Gott um Hilfe bei ihren Bemühungen zu bitten. Er beneidete sie.
Und saß hartnäckig schweigend unter der verschlossenen Himmelspforte, die Hand am Griff seines Messers und eine geladene Pistole im Gürtel – und sann auf Mord.
Kurz nach Mittag kam der kräftige Kapitän des Sklavenschiffs zurück, und seine Schritte knirschten gleichgültig auf den getrockneten Kiefernnadeln. Sie ließen ihn vorbei und warteten.
Am späten Nachmittag fing es an zu regnen.
Aus reiner Langeweile war sie wieder eingenickt. Es fing an zu regnen; das Geräusch weckte sie kurz, dann versetzte es sie noch tiefer in den Schlaf, und die Tropfen prasselten sanft auf das Dach aus Palmblättern. Sie erwachte abrupt, als ihr einer dieser Tropfen kalt ins Gesicht fiel, rasch gefolgt von einer Reihe seiner Kameraden.
Sie fuhr ruckartig auf und blinzelte orientierungslos vor sich hin. Sie rieb sich das Gesicht und blickte hoch; der Putz der Decke hatte eine kleine feuchte Stelle, umringt von einem sehr viel größeren Fleck, der von früheren Lecks herrührte, und wie von Zauberhand bildeten sich in seiner Mitte Tropfen, die dann einer nach dem anderen wie perfekte Perlen auf die Matratze fielen und zerplatzten.
Sie stand auf, um das Bett unter der undichten Stelle fortzuziehen, dann hielt sie inne. Sie richtete sich langsam auf und hob die Hand an die feuchte Stelle. Die Decke hatte eine normale Höhe für diese Zeit, knapp über zwei Meter; sie konnte sie problemlos erreichen.
»Sie ist ganz schön groß«, sagte sie laut. »Da hast du, verdammt noch mal, recht.«
Sie legte die Hand flach auf die feuchte Stelle und drückte, so fest sie konnte, dagegen. Der nasse Putz gab sofort nach, genau wie die verrotteten Latten darüber. Sie riss die Hand zurück, zerkratzte sich den Arm an den kantigen Enden der Lättchen, und eine kleine Kaskade aus schmutzigem Wasser, Tausendfüßlern, Mäusekot und Palmblattschnitzeln ergoss sich durch das Loch, das sie produziert hatte.
Sie wischte sich die Hand an ihrem Hemd ab, packte den Rand des Lochs und zog daran, bis sie so viel von den Latten und vom Putz beseitigt hatte, dass die Lücke groß genug für ihren Kopf und ihre Schultern war.
»Okay«, flüsterte sie dem Baby zu, oder auch sich selbst. Sie sah sich im Zimmer um, zog ihr Korsett über das Hemd und steckte sich die angespitzte Elfenbeinstange vorn hinein.
Dann stellte sie sich auf das Bett, holte tief Luft, hielt die Hände über sich, als wollte sie einen Kopfsprung machen und tastete dann nach etwas, das fest genug war, um sich daran abzustoßen. Stück für Stück hievte sie sich schwitzend und ächzend auf das dampfende Dach aus scharfkantigen Blättern, die Zähne zusammengebissen und die Augen zum Schutz vor dem Schmutz und den toten Insekten geschlossen.