»Glaubst du an Geister, Sassenach?«, fragte Jamie ganz plötzlich.
»Äh … schlicht und ergreifend, ja«, sagte ich. Er wusste, dass es so war, weil ich ihm von meiner Begegnung mit dem schwarzbemalten Indianer erzählt hatte. Ich wusste, dass er ebenfalls daran glaubte – er war Highlander. »Warum, hast du einen gesehen?«
Er schüttelte den Kopf und schlang die Arme fester um mich. »›Gesehen‹ würde ich nicht sagen«, sagte er nachdenklich. »Aber der Teufel soll mich holen, wenn er nicht hier ist.«
»Wer denn?«, sagte ich aufgeschreckt.
»Murtagh«, sagte er und überraschte mich noch mehr. Er setzte sich bequemer zurecht, und ich schmiegte mich wieder an ihn. »Seit der Nebel aufgekommen ist, habe ich das merkwürdige Gefühl, dass er in meiner Nähe ist.«
»Wirklich?« Das war faszinierend, doch es erfüllte mich auch mit großer Beklommenheit. Murtagh, Jamies Patenonkel, war in Culloden gestorben und seitdem – soweit ich wusste – niemandem erschienen. Ich zweifelte nicht an seiner Präsenz – Murtagh hatte eine sehr starke, wenn auch etwas sauertöpfische Persönlichkeit besessen –, und wenn Jamie sagte, dass er hier war, war es wahrscheinlich auch so. Was mir Sorgen machte, war die Frage,
Ich konzentrierte mich eine Weile, konnte den schmächtigen Schotten aber selbst nicht spüren. Offenbar interessierte er sich nur für Jamie.
Der Ausgang der morgigen Schlacht stand zwar fest, doch Schlacht war Schlacht, und es konnte auch auf der Siegerseite Tote geben. Murtagh war Jamies Patenonkel gewesen und hatte seine Pflicht sehr ernst genommen. Ich hoffte sehr, dass ihm nicht zu Ohren gekommen war, dass Jamie im Begriff stand, sein Leben zu verlieren, und dass er nicht hier aufgetaucht war, um ihn in den Himmel zu begleiten. Visionen am Vorabend der Schlacht waren fester Bestandteil der Highland-Folklore, aber Jamie hatte nichts davon gesagt, dass er Murtagh
»Er, ähm, hat aber nichts zu dir gesagt, oder?«
Jamie schüttelte den Kopf. Ihn schien der Geisterbesuch nicht nervös zu machen.
»Nein, er ist einfach nur … da.« Er schien dieses »Da-Sein« sogar als tröstend zu empfinden, daher sprach ich meine Zweifel und Ängste nicht aus. Doch ich verspürte sie trotzdem und verbrachte den Rest der kurzen Nacht dicht an meinen Mann gedrückt, wie um Murtagh oder wen auch immer zu warnen, ihn mir ja nicht wegzunehmen.
Kapitel 113
Die Geister von Culloden
Als es dämmerte, stand Roger neben seinem Schwiegervater hinter dem niedrigen Erdwall, die Muskete in der Hand, und blinzelte angestrengt in den Nebel. Die Geräusche einer Armee drangen deutlich zu ihm; Töne leitete der Nebel gut. Das gemessene Stampfen der Füße, obwohl sie nicht annähernd im Gleichschritt gingen. Metallklirren und Stoffrascheln. Stimmen – die Rufe der Offiziere, dachte er, die begannen, ihre Truppen zu ordnen.
Inzwischen mussten sie die verlassenen Lagerfeuer gefunden haben; sie würden wissen, dass der Feind jetzt am anderen Ufer lag.
Kräftiger Talggeruch lag in der Luft; Alexander Lillingtons Männer hatten die Längsbalken geschmiert, nachdem sie die Planken entfernt hatten. Er hatte den Eindruck, seine Schusswaffe jetzt schon seit Stunden festzuhalten, und doch war das Metall nach wie vor kalt in seiner Hand – seine Finger waren steif.
»Hörst du, was sie rufen?« Jamie wies kopfnickend auf den Nebel, der das andere Ufer verhüllte. Der Wind hatte sich gedreht; es kamen nur zusammenhanglose gälische Satzfetzen von jenseits der Zypressenstämme, und er verstand sie nicht. Jamie schon.
»Wer auch immer sie anführt – der Stimme nach glaube ich, dass es McLeod ist –, will den Bach im Sturm nehmen«, sagte er.
»Aber das ist glatter Selbstmord«, sagte Roger. »Sie müssen es wissen – es hat doch sicher jemand die Brücke gesehen?«
»Sie sind Highlander«, erwiderte Jamie leise, den Blick auf den Ladestock gerichtet, den er gerade hervorzog. »Sie werden dem Mann folgen, dem sie die Treue schwören, auch wenn er sie in den Tod führt.«
Ian stand in der Nähe; er warf einen raschen Blick in Rogers Richtung, dann hinter sich, wo sich Kenny und Murdo Lindsay mit Ronnie Sinclair und den McGillivrays befanden. Sie standen beiläufig beisammen, doch jede Hand lag an einer Muskete oder einem Gewehr, und ihre Augen huschten alle paar Sekunden zu Jamie hinüber.
Sie waren an diesem Ufer zu Oberst Lillingtons Männern gestoßen; Lillington schritt zwischen den Männern hin und her und ließ den Blick auf und ab huschen, um ihre Kampfbereitschaft einzuschätzen.
Bei Jamies Anblick blieb Lillington abrupt stehen, und Roger verspürte ein dumpfes Gefühl in der Magengegend. Randall Lillington war ein naher Verwandter des Obersts gewesen.