»Meinst du, sie ist Marjorie?« Brianna blinzelte das Bündel an, das in eine Decke gewickelt war. Monatelang hatten sie über Namen diskutiert, sich über die Vorschläge des anderen lustig gemacht, lächerliche Vorschläge wie Montgomery oder Agatha gemacht. Am Ende hatten sie vorläufig beschlossen, dass es Michael heißen würde, wenn es ein Junge war; wenn es ein Mädchen war, Marjorie nach Rogers Mutter.
Seine Tochter öffnete ganz plötzlich die Augen und sah ihn an. Ihre Augen standen schräg; er fragte sich, ob das wohl so bleiben würde – wie bei ihrer Mutter? Eine Art sanftes Mittelblau wie der Himmel am Vormittag – auf den ersten Blick nichts Besonderes, doch wenn man direkt hineinsah … grenzenlose Weite.
»Nein«, sagte er leise und starrte unverwandt in diese Augen. Konnte sie ihn schon sehen?, fragte er sich.
»Nein«, sagte er noch einmal. »Ihr Name ist Amanda.«
Anfangs hatte ich nichts gesagt. Es war nichts Ungewöhnliches bei Neugeborenen – vor allem, wenn sie etwas zu früh auf die Welt kamen wie Amanda –, kein Grund zur Sorge.
Der Ductus arteriosus ist ein kleines Blutgefäß, das beim Embryo die Aorta mit der Pulmonalarterie verbindet. Natürlich hat ein Baby Lungen, doch vor der Geburt benutzt es sie nicht; der Sauerstoff kommt durch die Nabelschnur aus der Plazenta. Daher müssen die Lungen nur durchblutet werden, um das entstehende Gewebe zu ernähren – und der Ductus arteriosus umgeht den Lungenkreislauf.
Bei der Geburt holt das Baby zum ersten Mal Luft, und Sauerstoffsensoren in diesem kleinen Gefäß bringen es dazu, sich zusammenzuziehen – und sich für ewig zu schließen. Wenn es geschlossen ist, fließt das Blut vom Herzen in die Lungen, wo es Sauerstoff aufnimmt und dann zurückkommt, um in den restlichen Körper gepumpt zu werden. Ein cleveres, elegantes System – nur funktioniert es manchmal nicht richtig.
Der Ductus arteriosus schließt sich nicht immer. In diesem Fall fließt natürlich immer noch Blut in die Lungen – aber die Umgehung bleibt ebenfalls. In etlichen Fällen läuft zu viel Blut in die Lungen und sammelt sich dort. Die Lungen schwellen an, verstopfen, und die Sauerstoffversorgung des Körpers wird problematisch – ab und zu ganz akut.
Ich ließ mein Stethoskop über die winzige Brust wandern, presste mein Ohr fest darauf und lauschte gebannt. Es war mein bestes Stethoskop, ein Modell aus dem neunzehnten Jahrhundert, das man Pinard nannte – am einen Ende hatte es eine Glocke mit einer flachen Scheibe, an die ich mein Ohr drückte. Ich hatte eines aus Holz, dieses hier war aus Zinn; Brianna hatte es für mich gegossen.
Allerdings war das Murmeln so deutlich zu hören, dass ich das Gefühl hatte, eigentlich gar kein Stethoskop zu brauchen. Kein Klicken oder falscher Schlag, keine zu lange Pause, kein Zischen wie aus einem Leck – ein Herz konnte eine ganze Reihe ungewöhnlicher Geräusche machen, und es abzuhören, war stets der erste Schritt der Diagnose. Defekte des Vorhofs oder des Ventralnervs, Fehlbildungen der Herzklappen – sie alle haben ihr eigenes Murmeln, manchmal zwischen den Schlägen, manchmal unter die Herzgeräusche gemischt.
Wenn sich der Ductus arteriosus nicht schließt, sagt man, er persistiert. Einen persistierenden Ductus arteriosus erkennt man an einem konstanten Rauschen, schwach, aber mit etwas Konzentration gut zu hören, vor allem in der supraklavikulären Gegend und am Hals.
Zum hundertsten Mal in zwei Tagen beugte ich mich dicht über das Baby, das Ohr fest an das Stethoskop gepresst, während ich damit über Amandas Brust und Hals wanderte und auf das Unwahrscheinliche hoffte, nämlich, dass das Geräusch verschwunden sein würde.
Es war noch da.
»Dreh dein Köpfchen, Schatz, ja, so ist es gut …«, hauchte ich und wandte ihren Kopf vorsichtig von mir ab. Es war schwierig, das Stethoskop in die Nähe ihres Kugelköpfchens zu bringen … da! Amanda stieß ein kleines Geräusch aus, das wie ein Kichern klang. Ich drehte ihren Kopf in die andere Richtung – das Geräusch ließ nach.
»Oh, verflixt«, murmelte ich sehr leise, um ihr keine Angst zu machen. Ich legte das Stethoskop hin und hob sie auf, um sie mir an die Schulter zu legen. Wir waren allein; Brianna war nach oben in mein Zimmer gegangen, um ein Nickerchen zu machen, und alle anderen waren unterwegs.
Ich trug sie zum Sprechzimmerfenster und schaute hinaus; es war ein herrlicher Frühlingstag in den Bergen. Die Zaunkönige nisteten wieder unter den Traufen; ich konnte über mir hören, wie sie mit Hölzchen raschelten und sich mit leisem, klarem Zirpen unterhielten.
»Vögelchen«, sagte ich und hielt meine Lippen dicht an die filigrane Muschel ihres Ohrs. »Ganz schön lautes Vögelchen.« Sie wand sich träge und antwortete mir mit einem Furz.
»Nun gut«, sagte ich und musste trotz allem lächeln. Ich hielt sie ein wenig von mir weg, so dass ich ihr ins Gesicht sehen konnte – wunderschön und perfekt, aber nicht mehr so wohlgenährt, wie es vor einer Woche bei ihrer Geburt gewesen war.