Ganz sacht setzte ich das Messer an der Unterseite des Deckels an wie ein kleines Stemmeisen. Ich spürte, wie es in dem Holzdeckel Halt fand, und bewegte es vorsichtig. Nach und nach rutschte die kleine Holzplatte auf mich zu, bis ich sie zwischen Daumen und Zeigefinger zu fassen bekam und sie ganz lösen konnte.
»Bitte sehr«, sagte ich und reichte ihr die Schatulle etwas widerstrebend zurück. Sie fühlte sich schwer an, und als ich sie schräg hielt, klirrte es eindeutig metallisch darin.
»Danke.« Im selben Moment, als sie die Schatulle wieder entgegennahm, kam eine schwarze Bedienstete durch die Tür am anderen Ende des Zimmers. Geilie wandte den Kopf, um dem Mädchen aufzutragen, uns ein Tablett mit frischen Törtchen zu bringen, und ich sah, dass sie die Schatulle zwischen ihre Rockfalten geschoben hatte, um sie zu verstecken.
»Neugierige Geschöpfe«, sagte sie und folgte der Dienstmagd mit einem stirnrunzelnden Blick, bis diese durch die Tür verschwand. »Eins der Probleme mit Sklaven; man kann vor ihnen nichts geheim halten.« Sie stellte die Schatulle auf den Tisch und schob den Deckel zur Seite; er bewegte sich mit einem leisen, abrupten Protestlaut.
Sie griff in die Schatulle, zog ihre geschlossene Faust heraus, lächelte mich schelmisch an und sagte: »Hast denn das Säcklein auch bei dir? Ich sprach: Das Säcklein, das ist hier …«, sie öffnete die Hand mit einer ausladenden Bewegung, »denn Apfel, Nuss und Mandelkern fressen fromme Kinder gern.«
Ich war natürlich darauf vorbereitet gewesen, doch es bereitete mir dennoch keine Schwierigkeiten, ein beeindrucktes Gesicht zu machen. Der Anblick eines echten Edelsteins geht unmittelbarer unter die Haut als seine bloße Beschreibung. Sechs oder sieben solcher Steine glitzerten und glimmerten in ihrer Hand, brennendes Feuer und frostiges Eis, blaues Wasser in der Sonne und ein großer, goldener Stein, der an das Auge eines lauernden Tigers erinnerte.
Unwillkürlich angezogen, blickte ich fasziniert auf den Schatz in ihrer Hand. Als »anständig« hatte Jamie die Größe der Steine mit seinem typisch schottischen Hang zur Untertreibung bezeichnet. Nun, es kam vermutlich auf die Perspektive an.
»Eigentlich hatte ich sie mir als Zahlungsmittel beschafft«, sagte Geillis und berührte die Steine voller Genugtuung mit dem Finger. »Weil sie einfacher zu transportieren waren als eine große Menge Gold oder Silber, meine ich; damals war mir nicht klar, welchen Nutzen sie sonst noch haben könnten.«
»Was, als
»Oh nein, die hier nicht.« Sie schloss die Hand um die Steine, schob sie in ihre Tasche und griff dann wieder in die Schatulle, um noch mehr hervorzuholen. Ein kleiner Strom flüssigen Feuers ergoss sich in ihre Tasche, die sie dann liebevoll tätschelte. »Nein, zu diesem Zweck habe ich kleinere Steine. Diese hier sind für etwas anderes gedacht.«
Sie warf mir einen nachdenklichen Blick zu, dann wies sie mit einem Ruck ihres Kopfes auf die Tür am Ende des Zimmers.
»Komm mit nach oben in meinen Arbeitsraum«, sagte sie. »Ich habe da einiges, was dich vielleicht interessieren könnte.«
»Interessieren« war gelinde ausgedrückt, dachte ich.
Es war ein langer, lichterfüllter Raum. Eine Arbeitsplatte zog sich an einer Wand entlang, trocknende Kräuter hingen an Haken von der Decke und lagen auf gazebespannten Trockengestellen an der Innenwand. Die restlichen Wände waren mit Schubladenschränken bedeckt, und am Ende des Zimmers stand eine kleine Büchervitrine.
Das ganze Zimmer war wie ein kleines Déjà-vu-Erlebnis; nach einigen Sekunden begriff ich, dass es große Ähnlichkeit mit Geilies Kräuterkammer in Cranesmuir hatte, im Haus ihres ersten Ehemanns – nein, des zweiten, verbesserte ich mich und dachte an Greg Edgars’ brennende Leiche.
»Wie oft warst du eigentlich schon verheiratet?«, fragte ich neugierig. Mit Hilfe ihres zweiten Ehemanns hatte sie den Grundstein ihres Vermögens gelegt. Er war Fiskalprokurator des Distrikts gewesen, in dem sie lebten, und sie hatte seine Unterschrift gefälscht, um Geld für ihre eigenen Zwecke abzuzweigen, und ihn dann ermordet. Da sie mit dieser Vorgehensweise Erfolg hatte, hatte sie es vermutlich erneut versucht; Geilie Duncan war ein Gewohnheitstier.
Sie hielt einen Moment inne, um nachzuzählen. »Oh, fünfmal, glaube ich. Seit ich hier bin«, fügte sie beiläufig hinzu.
»Fünf?«, sagte ich ein wenig schwach. Das war schon keine Gewohnheit mehr, sondern eine waschechte Sucht.
»Die Atmosphäre in den Tropen ist für Engländer sehr ungesund«, sagte sie und lächelte mir hinterlistig zu. »Fieber, Geschwüre, Magenentzündungen; sie sterben an der kleinsten Kleinigkeit.« Sie hatte offenbar auf ihre Mundhygiene geachtet; ihre Zähne waren noch sehr gut.
Алекс Каменев , Владимир Юрьевич Василенко , Глуховский Дмитрий Алексеевич , Дмитрий Алексеевич Глуховский , Лиза Заикина
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