Ich hatte noch nie eine Schusswaffe auf einen Menschen gerichtet; es war ein seltsam berauschendes Gefühl, obwohl der Lauf der Pistole stark wankte. Gleichzeitig jedoch hatte ich eigentlich keine Ahnung, was ich tun sollte.
»Mr. –« Ich gab auf und benutzte den ganzen Namen. »Yi Tien Cho. Habt Ihr den Reverend auf dem Ball des Gouverneurs mit Mrs. Alcott gesehen?«
»Ich gesehen, er bringt sie um«, sagte Yi Tien Cho ausdruckslos. »Besser schießen, Erste Frau.«
»Macht Euch doch nicht lächerlich. Mrs. Fraser, Ihr glaubt doch einem Wilden nicht, der selbst …« Der Reverend wandte sich mir zu und bemühte sich um eine überlegene Miene, was jedoch durch die Schweißperlen erschwert wurde, die sich an seinem zurückweichenden Haaransatz gebildet hatten.
»Doch, ich glaube, das tue ich«, sagte ich. »Ihr wart dort. Ich habe Euch gesehen. Und Ihr wart in Edinburgh, als dort die letzte Prostituierte umgebracht wurde. Nellie Cowden hat gesagt, Ihr hättet zwei Jahre in Edinburgh gelebt; genauso lange hat auch die Bestie dort gewütet.« Der Abzug war rutschig unter meinem Zeigefinger.
»
»Ihr glaubt dem Wort des Mannes, der Euren Mann verraten hat?«
»Wer?«
Fast wäre mir die Pistole aus der Hand gefallen. Das ging mir alles viel zu schnell. Ich hoffte inbrünstig, dass Jamie und seine Männer Ian gefunden hatten und zum Fluss zurückgekehrt waren – gewiss würden sie zum Haus kommen, wenn ich nicht am Treffpunkt war.
Ich hob die Pistole ein wenig und hatte vor, dem Reverend zu sagen, er sollte sich in den Durchgang zur Küche begeben; ihn in eine der Vorratskammern zu sperren, war das Beste, was mir einfiel.
»Ihr solltet besser …«, begann ich, dann stürzte er sich auf mich.
Mein Finger drückte automatisch auf den Abzug. Es knallte laut, die Waffe versetzte meiner Hand einen Hieb, und mir stieg eine kleine Rauchwolke ins Gesicht, so dass mir die Augen tränten.
Ich hatte ihn nicht getroffen. Die Explosion hatte ihn zwar erschreckt, doch jetzt machte sich erst recht Genugtuung in seinem Gesicht breit. Ohne ein Wort griff er in seinen Rock und zog eine etwa zwanzig Zentimeter lange Hülle aus ziseliertem Metall heraus, aus deren Ende ein weißer Hirschhorngriff ragte.
Mit der grauenvollen Klarheit, die mit jeder Art von Krise einhergeht, nahm ich alles wahr, von der Delle in der Klinge, die er jetzt aus der Hülle zog, bis hin zum Duft der Rose, die er unter seiner Schuhsohle zertrat, als er auf mich zukam.
Ich konnte nirgendwohin. Ich hielt mich zum Kampf bereit, obwohl ich wusste, dass Kämpfen zwecklos war. Die frische Narbe des Entermessers brannte auf meinem Arm und erinnerte mich grauenerregend daran, was mir bevorstand. In meinem Augenwinkel blitzte es blau, dann hörte ich einen matschigen Aufprall, als hätte jemand eine Melone aus großer Höhe fallen gelassen. Der Reverend drehte sich ganz langsam auf einem Schuh; seine Augen waren weit aufgerissen und völlig, völlig leer. In diesem einen Moment sah er aus wie Margaret. Dann fiel er zu Boden.
Er fiel wie ein Brett und streckte keine Hand aus, um sich zu retten. Eines der Satinholztischchen stürzte um, und es regnete Potpourri und glattpolierte Steine. Der Kopf des Reverends traf zu meinen Füßen auf den Boden, prallte einmal ab und lag still. Ich trat krampfhaft einen Schritt zurück, dann stand ich gefangen mit dem Rücken zur Wand.
Er hatte eine fürchterliche Delle in der Schläfe. Vor meinen Augen wechselte sein Gesicht die Farbe und verwandelte sich vom Rot der Wut in käsiges Weiß. Seine Brust hob sich, hielt inne, hob sich erneut. Seine Augen standen offen, genau wie sein Mund.
»Tsei-mi ist hier, Erste Frau?« Der Chinese steckte sich den Beutel mit den Steinkugeln wieder in den Ärmel.
»Ja, er ist hier – draußen.« Ich wies mit einer vagen Handbewegung auf die Veranda. »Was … er … habt Ihr wirklich …« Ich spürte, wie mich der Schock in Wellen überkam, und kämpfte sie nieder, indem ich die Augen schloss und einatmete, so tief ich konnte.
»Seid Ihr es gewesen?«, sagte ich, ohne die Augen zu öffnen. Falls er vorhatte, mir ebenfalls den Schädel zu zertrümmern, wollte ich nicht zusehen. »Hat er die Wahrheit gesagt? Wart Ihr es, der Sir Percival das Stelldichein in Arbroath verraten hat? Der ihm von Malcolm und der Druckerei erzählt hat?«
Es kam weder eine Antwort, noch bewegte er sich, und nach ein paar Sekunden öffnete ich die Augen. Er stand da und beobachtete Reverend Campbell.
Archibald Campbell lag totenstill da, aber er war noch nicht tot. Doch der dunkle Engel nahte; seine Haut hatte die schwache Grünfärbung angenommen, die man oft bei Sterbenden sah. Dennoch, seine Lungen bewegten sich noch und saugten mit einem keuchenden Pfeifen Luft ein.
Алекс Каменев , Владимир Юрьевич Василенко , Глуховский Дмитрий Алексеевич , Дмитрий Алексеевич Глуховский , Лиза Заикина
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