»Nun ja, Loch Ness ist merkwürdig, da gibt es kein Vertun. Natürlich gibt es Geschichten von etwas Altem, Bösem, das einst in seinen Tiefen lebte. Man hat ihm Opfer gebracht – Vieh und manchmal sogar kleine Kinder, die man in Weidenkörben weit auf dem See ausgesetzt hat.« Er spuckte noch einmal aus. »Manche sagen, dass der See keinen Grund hat – dass er in der Mitte ein Loch hat, das tiefer ist als alles andere in Schottland. Andererseits …«, die Fältchen rings um die Augen des Führers vertieften sich ein wenig, »vor ein paar Jahren kam eine Familie aus Lancashire in die Polizeiwache von Invermoriston gestürmt. Sie haben geschrien, sie hätten gesehen, wie das Ungeheuer aus dem Wasser kam und sich im Farn versteckt hat. Eine schreckliche Kreatur mit rotem Haarpelz und grauenvollen Hörnern, und es hätte auf etwas herumgekaut, und das Blut wäre ihm aus dem Maul getrieft.« Er hob die Hand, um meinen Schreckensruf zu unterbinden.
»Der Konstabler, den sie hingeschickt haben, um nachzusehen, kam zurück und hat gesagt, bis auf das triefende Blut wäre es eine ziemlich gute Beschreibung …«, er hielt inne, um seine Worte wirken zu lassen, »einer Highlandkuh, die im Farn ihr Futter widerkäute!«
Wir fuhren fast bis zur Mitte des Sees, ehe wir an Land gingen und ein spätes Mittagessen zu uns nahmen. Dann holte uns der Wagen ab, und wir fuhren durch den Great Glen zurück. Das Unheimlichste, was wir auf dem ganzen Weg sahen, war ein Rotfuchs auf der Straße, der uns erschrocken anstarrte, ein kleines Tier schlaff in seinem Maul, als wir um eine Kurve bogen. Er war mit einem Satz am Straßenrand und huschte die Böschung hinauf, flink wie ein Schatten.
Es war ziemlich spät, als wir endlich auf Mrs. Bairds Haustür zustolperten, aber wir lachten immer noch über die Ereignisse des Tages, als wir uns auf der Schwelle aneinanderklammerten und Frank nach dem Schlüssel suchte.
Erst als wir uns bettfertig machten, fiel es mir wieder ein, Frank von dem Steinkreis auf dem Craigh na Dun zu erzählen. Seine Erschöpfung verflog auf der Stelle.
»Tatsächlich? Und du weißt, wo das ist? Wie großartig, Claire!« Er strahlte und begann, in seinem Koffer zu kramen.
»Was suchst du denn?«
»Den Wecker«, erwiderte er und brachte ihn zum Vorschein.
»Wozu denn das?«, fragte ich erstaunt.
»Ich will früh genug auf sein, um sie zu sehen.«
»Wen?«
»Die Hexen.«
»Hexen? Wer hat dir denn gesagt, dass es hier Hexen gibt?«
»Mr. Wakefield«, antwortete Frank, der die Ironie sichtlich genoss. »Seine Haushälterin gehört auch dazu.«
Ich dachte an die gesittete Mrs. Graham und schnaubte verächtlich. »Mach dich doch nicht lächerlich!«
»Na ja, eigentlich keine Hexen. Es gibt seit Jahrhunderten Hexen in Schottland – man hat sie bis weit ins achtzehnte Jahrhundert verbrannt –, aber diese Gruppe betrachtet sich wohl eher als Druiden oder so ähnlich. Ich glaube nicht, dass es hier tatsächlich einen Hexenzirkel gibt – also keine Teufelsanbeter. Aber der Reverend hat gesagt, dass es im Ort eine Gruppe gibt, die an den alten Sonnenfesten immer noch Rituale vollzieht. Er selbst kann es sich natürlich nicht leisten, sich allzu sehr für dieses Treiben zu interessieren, aber er ist gleichzeitig viel zu neugierig, um es komplett zu ignorieren. Er wusste nicht, wo die Zeremonien stattfinden, aber wenn hier in der Nähe ein Steinkreis ist, dann muss es dort sein.« Er rieb sich erwartungsvoll die Hände. »Was für ein Glück!«
Einmal im Dunkeln aufzustehen, um auf Abenteuerreise zu gehen, ist eine Laune. Zweimal nacheinander riecht nach Masochismus.
Diesmal gab es auch kein schönes warmes Auto mit Decken und Thermoskannen. Verschlafen wankte ich hinter Frank den Hügel hinauf, stolperte über Wurzeln und stieß mir an spitzen Steinen die Zehen. Es war kalt und nebelig, und ich vergrub die Hände tief in den Taschen meiner Strickjacke.
Ein letzter Kraftakt, dann hatten wir den Hügelkamm erklommen, und der Steinkreis lag vor uns, kaum zu sehen im trüben Licht vor der Dämmerung. Frank blieb regungslos stehen, um die Steine zu bewundern, während ich mich keuchend auf einen nahe gelegenen Felsen sinken ließ.
»Wie schön«, murmelte er. Er bewegte sich lautlos auf den Rand des Ringes zu, und seine schattenhafte Gestalt verschwand zwischen den größeren Schatten der Steine. Sie waren wirklich schön und verdammt gruselig dazu. Ich erschauerte, und das nicht nur vor Kälte. Falls ihre Erbauer – wer auch immer sie waren – sie errichtet hatten, um Eindruck zu schinden, dann hatten sie gewusst, was sie taten.
Im nächsten Moment war Frank zurück. »Noch niemand da«, flüsterte er plötzlich hinter mir, so dass ich zusammenfuhr. »Komm mit, ich habe eine Stelle gefunden, von der aus wir heimlich zusehen können.«