Der Strick an meinen Handgelenken ließ mir ein wenig Spielraum, so dass ich mich mit Schwung umdrehen und dem Pöbel gegenüberstellen konnte. Mein plötzliches Entrinnen überraschte den Dorfschulzen; der Riemen landete in der Luft, so dass er stolperte und sich den Kopf an einem Ast stieß. Das verfehlte seine Wirkung auf die Menge nicht, die ihn lauthals zu beleidigen begann.
Ich hatte die Haare in den Augen, denn der Schweiß, meine Tränen und der Schmutz der Grube hatten sie mir ins Gesicht geklebt. Ich schüttelte heftig den Kopf, und schließlich bestätigte mir ein Blick aus den Augenwinkeln, was meine Ohren gehört hatten.
Jamie schob sich mit finsterer Miene durch die Menge, die ihn aufzuhalten versuchte, und nutzte dabei rücksichtslos seine Kraft und seine Körpergröße aus.
Ich kam mir vor wie General McAuliffe in Bastogne, als er Pattons Dritte Armee herannahen sah. Trotz der tödlichen Gefahr für mich, für Geillis und jetzt auch für Jamie war ich noch nie so froh gewesen, jemanden zu sehen.
»Der Gemahl der Hexe!«, »Ihr Mann, tatsächlich!«, »Verfluchter Fraser!« und ähnliche Bezeichnungen wurden jetzt in der Flut der Schmähungen gegen mich und Geilie hörbar. »Ergreift ihn auch!«, »Verbrennen! Verbrennt sie alle!« Die Hysterie der Menge, die durch das Missgeschick des Dorfschulzen nur kurz abgeklungen war, näherte sich erneut dem Siedepunkt.
Weil sich die Helfer des Dorfschulzen an ihn klammerten, um ihn aufzuhalten, war Jamie zwangsweise zum Stehen gekommen. Obwohl ihm an jedem Arm ein Mann hing, versuchte er, mit der Hand an seinen Gürtel zu gelangen. In dem Glauben, er greife nach einer Waffe, versetzte ihm einer der Männer einen Hieb in den Bauch.
Jamie krümmte sich ein wenig, dann kam er wieder hoch und rammte dem Schläger den Ellbogen vor die Nase. Da er einen Arm jetzt zumindest vorübergehend befreit hatte, ignorierte er das hektische Gewedel des Mannes auf der anderen Seite. Er schob die Hand in seinen Sporran, hob den Arm und warf. Ich hörte seinen Ruf, als sich der Gegenstand aus seiner Hand löste.
»Claire! Halt
Kann ja auch kaum anders, dachte ich benommen. Etwas Dunkles kam geradewegs auf mein Gesicht zugeflogen, und fast wäre ich instinktiv zurückgezuckt, doch ich hielt rechtzeitig inne. Der Gegenstand landete wie eine schallende Ohrfeige in meinem Gesicht, und schwarze Perlen fielen mir auf die Schultern, als sich der wie eine Bola geworfene Gagatrosenkranz zielsicher um meinen Hals legte. Oder besser, nicht ganz zielsicher; die Kette blieb an meinem rechten Ohr hängen. Ich schüttelte mit tränenden Augen den Kopf, die Kette glitt an ihren Platz, und das Kruzifix schwang fröhlich zwischen meinen nackten Brüsten.
Die Gesichter in der ersten Reihe starrten es mit einer Art entsetzter Verwunderung an. Ihr plötzliches Schweigen pflanzte sich weiter nach hinten fort, und das brodelnde Tosen verstummte. Jamies Stimme, die normalerweise sanft war, selbst wenn er wütend war, hallte durch die Stille. Sie hatte nichts Sanftes mehr an sich.
»Schneidet sie los!«
Die Männer, die sich an ihn klammerten, ließen los, und die Wogen der Menge teilten sich vor seinen Schritten. Der Dorfschulze sah ihn mit offenem Mund wie erstarrt auf sich zukommen.
»Ich sagte, schneidet sie los! Auf der Stelle!« Der Dorfschulze, der jetzt durch die apokalyptische Vision des rothaarigen Todes aus seiner Trance gerissen wurde, rappelte sich schlagartig auf und tastete nach seinem Dolch. Der Strick gab mit einem durchdringenden Ruck nach, und meine Arme fielen mir schmerzend an die Seiten. Ich stolperte und wäre hingefallen, doch eine kräftige, vertraute Hand fing meinen Ellbogen auf und zog mich hoch. Dann lag mein Gesicht an Jamies Brust – und sonst war nichts mehr wichtig.
Möglich, dass ich einige Momente das Bewusstsein verlor oder dass mich die Erleichterung so überwältigte, dass es mir so erschien. Jamie hatte den Arm fest um meine Taille gelegt, um mich aufrecht zu halten, und er hatte sein Plaid über mich geworfen, um mich endlich vor den Blicken der Dorfbewohner zu verhüllen. Ringsum herrschte zwar großes Stimmengewirr, doch es war nicht länger der irre, schadenfrohe Blutdurst des Pöbels.
Pat – oder war es Patachon – verschaffte sich lauthals Gehör.
»Wer seid Ihr? Wie könnt Ihr es wagen, Euch in die Untersuchungen des Gerichts einzumischen?«
Auch ohne es zu sehen, konnte ich spüren, wie sich die Menge auf uns zuschob. Jamie war zwar groß, und er war bewaffnet, doch er war nur ein einzelner Mann. Ich drängte mich unter dem Plaid an ihn. Sein rechter Arm legte sich fester um mich, doch seine linke Hand fuhr zu der Scheide an seiner Hüfte. Die silberblaue Klinge zischte drohend, als er sie halb herauszog, und die erste Reihe der Menge kam abrupt zum Halten.
Die Richter waren aus zäherem Leder gemacht. Ich warf einen Blick aus meinem Versteck und konnte sehen, wie Patachon Jamie finster anfunkelte. Pat schien sich über die plötzliche Einmischung eher zu wundern, als zu ärgern.