»Ich habe Claire Frasers Ahnungslosigkeit ausgenutzt und sie für meine Zwecke missbraucht. Doch sie hatte weder Anteil an meinem Tun, noch wusste sie davon, noch dient sie meinem Meister.«
Die Menge tuschelte nun wieder, die Leute schubsten sich gegenseitig, um besser sehen zu können, und drängten sich nach vorn. Sie streckte beide Hände in ihre Richtung.
»Zurück!«, erscholl ihre klare Stimme wie ein Peitschenhieb und mit ähnlicher Wirkung. Sie hob den Blick zum Himmel und erstarrte, als lauschte sie.
»Hört!«, sagte sie. »Hört den Wind seines Kommens! Hütet euch, ihr Menschen von Cranesmuir. Denn mein Meister kommt auf den Schwingen des Windes!« Sie senkte den Kopf und schrie, ein schriller, gespenstischer Triumphlaut. Ihre großen grünen Augen starrten wie in Trance vor sich hin.
Der Wind
Geilie fing an, sich um sich selbst zu drehen, wieder und wieder, das Haar vom Wind gepeitscht, die Hände anmutig über den Kopf gehoben wie beim Tanz um den Maibaum. Verdattert und ungläubig sah ich ihr zu.
Solange sie sich drehte, war ihr Gesicht von ihrem Haar verborgen. Bei der letzten Drehung jedoch ruckte sie mit dem Kopf, um die blonde Mähne zur Seite zu werfen, und ich konnte ihr Gesicht sehen. Ihre Augen funkelten mich an. Die Maske der Trance war für eine Sekunde verschwunden, und ihr Mund formte ein einziges Wort. Dann trug die Drehung sie wieder der Menge zu, und ihr gespenstisches Schreien begann von neuem.
»Flieht!« war das Wort gewesen.
Plötzlich kam sie zum Stillstand, und mit einer Miene irren Jubels packten ihre Hände die Überreste ihres Mieders und rissen es der Länge nach auf. Rissen es so weit auf, dass die Menge das Geheimnis sah, das ich erfahren hatte, als ich mit ihr in der schmutzigen Kälte des Diebeslochs kauerte. Das Geheimnis, das Arthur Duncan in der Stunde vor seinem Tod erfahren hatte. Das Geheimnis, das ihn das Leben gekostet hatte. Die Fetzen ihres Kleides fielen zu Boden und gaben die Rundung eines Bauches frei, der im sechsten Monat schwanger war.
Ich stand immer noch wie angewurzelt da und starrte sie an. Jamie jedoch kannte kein Zögern mehr. Mit der einen Hand packte er mich, mit der anderen das Schwert und stürzte sich mitten in die Menge, stieß die Leute mit Ellbogen, Knien und dem Schwertgriff beiseite und bahnte sich gewaltsam den Weg bis zum Ufer. Dort pfiff er schrill durch die Zähne.
Da alles immer noch gebannt auf das Spektakel unter der Eiche starrte, begriff zunächst kaum jemand, was geschah. Dann begannen die ersten Häscher rufend nach uns zu greifen, und gleichzeitig erklang das Geräusch galoppierender Hufe auf dem festen Boden am Ufer.
Donas hatte nach wie vor nicht viel für Menschen übrig und war nur zu gern bereit, das zu demonstrieren. Er biss die erste Hand, die nach seinem Zaumzeug griff, und ein blutender Mann fuhr mit einem lauten Aufschrei zurück. Das Pferd stieg und trat in der Luft um sich, und die letzten tapferen Seelen, die es trotz allem noch aufhalten wollten, verloren urplötzlich das Interesse.
Jamie warf mich wie einen Mehlsack über den Sattel und schwang sich augenblicklich hinterher. Er machte uns den Weg mit dem Schwert frei und lenkte Donas mitten durch die hinderliche Menschenmenge. Die Leute wichen vor dem Ansturm von Zähnen, Hufen und Klinge zurück, und wir wurden schneller und ließen den See, das Dorf und Leoch hinter uns. Die harte Landung auf dem Pferderücken hatte mir den Atem verschlagen, doch ich versuchte zu sprechen, Jamie anzuschreien.
Denn es war nicht der Anblick von Geilies Schwangerschaft, der mich hatte erstarren lassen. Es war etwas anderes gewesen, was mir das Mark in den Knochen gefrieren ließ. Als sich Geilie mit erhobenen Armen drehte, hatte ich etwas gesehen, was auch sie gesehen hatte, als man mir die Kleider vom Leib riss. Ein Zeichen an ihrem Arm, wie auch ich es trug. Hier in dieser Zeit ein Zeichen der Hexerei, das Zeichen eines Magiers. Die unscheinbare kleine Narbe einer Pockenimpfung.
Regen prasselte auf das Wasser, eine Wohltat für mein geschwollenes Gesicht und meine aufgescheuerten Handgelenke. Ich schöpfte eine Handvoll Wasser aus dem Bach und trank es schluckweise. Dankbar spürte ich, wie mir das kalte Nass durch die Kehle rann.
Jamie verschwand ein paar Minuten. Er kam mit einer Handvoll kreisrunder, dunkelgrüner Blätter zurück und kaute etwas. Wenig später spuckte er einen Klecks grünen Brei auf seine Handfläche, stopfte sich ein paar neue Blätter in den Mund und drehte mich so, dass ich ihm den Rücken zuwandte. Er rieb mir die zerkauten Blätter sacht auf den Rücken, und das Brennen ließ beträchtlich nach.
»Was ist das«, fragte ich und versuchte, mich in den Griff zu bekommen. Ich zitterte und schniefte immer noch, aber die hilflosen Tränen verebbten allmählich.