Ich wusste aus Jamies Erzählungen, dass es eine Scheune und einen Futterspeicher gab; sie mussten sich zusammen mit dem Kornspeicher, dem Hühnerstall, dem Gemüsegarten und der verfallenen Kapelle auf der anderen Seite des Hauses befinden. Womit noch ein kleines Gebäude auf dieser Seite unerklärt blieb. Der schwache Herbstwind kam aus dieser Richtung; ich holte tief Luft und wurde mit kräftigem Hopfen- und Hefegeruch belohnt. Das war also das Brauhaus, wo sie das Bier für das Anwesen herstellten.
Die Straße führte am Tor vorbei über einen kleinen Hügel. Just als ich den Blick dorthin wandte, erschien der Umriss einer kleinen Gruppe von Männern im Abendlicht auf der Kuppe. Sie verweilten einen Moment, als verabschiedeten sie sich voneinander. Tatsächlich kam nur einer von ihnen auf das Haus zu, während die anderen über die Felder auf eine weiter entfernte Gruppe von Katen zuhielten.
Während der Mann nun den Hügel herunterstieg, konnte ich sehen, dass er schwer humpelte. Als er dann durch das Tor kam, konnte ich auch den Grund dafür erkennen. Ihm fehlte das rechte Bein unterhalb des Knies, und er trug stattdessen ein Holzbein.
Trotzdem bewegte er sich schwungvoll, und als er sich näherte, stellte ich fest, dass er kaum älter als zwanzig war. Er war hochgewachsen, fast so groß wie Jamie, aber nicht so breitschultrig – eigentlich sogar fast hager.
Am Eingang des Obstgartens blieb er stehen, lehnte sich an ein Spalier und blickte neugierig zu mir herüber. Dichtes braunes Haar fiel ihm glatt über die hohe Stirn, und aus seinen braunen Augen blickte mir geduldige Gutmütigkeit entgegen.
Die beiden Stimmen im Haus hatten ihre Zurückhaltung aufgegeben und waren lauter geworden, während ich draußen wartete. Dank des warmen Wetters standen die Fenster offen, und die Streithähne waren im Obstgarten gut zu hören, wenn auch nicht jedes Wort zu verstehen war.
»Du aufdringliches Miststück!«, ertönte Jamies Stimme laut in der sanften Abendluft.
»Du hast ja nicht einmal den Anstand zu …« Die Antwort seiner Schwester ging in einem plötzlichen Windstoß unter.
Der Neuankömmling wies mit einem gelassenen Kopfnicken zum Haus. »Ah, dann ist Jamie also zu Hause.«
Ich nickte ebenfalls und war mir nicht sicher, ob ich mich vorstellen sollte. Es spielte keine Rolle, denn der junge Mann lächelte und neigte den Kopf in meine Richtung.
»Ich bin Ian Murray. Jennys Mann. Und du bist dann wohl … äh …«
»Das englische Frauenzimmer, das Jamie geheiratet hat«, beendete ich den Satz für ihn. »Mein Name ist Claire. Dann habt ihr davon gewusst?«, fragte ich, während er lachte. Mein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Jennys Mann?
»Oh, aye. Wir haben es von Joe Orr gehört, der es von einem Kesselflicker in Ardraigh wusste. Man kann in den Highlands nichts längere Zeit geheim halten. Das solltest du doch wissen, selbst wenn ihr erst seit einem Monat verheiratet seid. Jenny fragt sich schon seit Wochen, was für ein Mensch du wohl sein magst.«
»Hure!«, brüllte Jamie im Inneren des Hauses. Jennys Ehemann zuckte nicht mit der Wimper, sondern betrachtete mich weiter voll freundlicher Neugier.
»Hübsch bist du ja«, sagte er und betrachtete mich unverblümt von Kopf bis Fuß. »Hast du Jamie gern?«
»Äh … ja. Ja, das habe ich«, antwortete ich etwas verblüfft. Ich gewöhnte mich zwar allmählich an die direkte Art der meisten Highlander, aber hin und wieder überraschte sie mich doch.
Er spitzte die Lippen und nickte, als sei er damit zufrieden, dann setzte er sich zu mir auf die Bank.
»Am besten geben wir ihnen noch ein paar Minuten«, sagte er und wies zum Haus, wo das Gebrüll jetzt auf Gälisch weiterging. Der Grund der Auseinandersetzung schien ihn gar nicht zu interessieren. »Ein Fraser hört auf nichts und niemanden, wenn er in Rage ist. Wenn er fertig gebrüllt hat, kann man ihn manchmal zur Vernunft bringen, eher aber nicht.«
»Ja, das ist mir auch schon aufgefallen«, sagte ich trocken, und er lachte.
»Das hast du also im Lauf deiner Ehe schon herausgefunden, ja? Wir haben gehört, dass Dougal Jamie gezwungen hat, dich zu heiraten«, sagte er und ließ den Streit Streit sein, um sich ganz auf mich zu konzentrieren. »Aber Jenny hat gemeint, selbst Dougal MacKenzie würde Jamie nie zu etwas zwingen können, was er nicht will. Jetzt, da ich dich sehe, verstehe ich natürlich, warum er es getan hat.« Er zog einladend die Augenbrauen hoch, falls ich ihm mehr erzählen wollte, war aber so höflich, es nicht zu erzwingen.
»Ich vermute, er hatte seine Gründe«, sagte ich und achtete gleichzeitig auf meinen Begleiter und das Haus, wo der Schlachtenlärm unvermindert anhielt. »Ich möchte nicht … ich meine, ich hoffe …« Ian interpretierte mein Zögern und meinen Blick zu den Salonfenstern richtig.