»Gut. Ist das alles?« Ihr halb verdunkeltes Gesicht war ernst und konzentriert. Ich dankte Jamie im Geiste für die Voraussicht, sie zu warnen, und ihr selbst für das Vertrauen, das sie ihrem Bruder entgegenbrachte. Sie fragte weder nach dem Wie noch dem Warum, sondern prägte sich nur sorgfältig ein, was ich sagte, und ich wusste, dass meine hastigen Anweisungen befolgt werden würden.
»Das ist alles. Zumindest alles, was mir jetzt einfällt.« Ich versuchte zu lächeln, doch es erschien mir selbst nicht überzeugend.
Ihr gelang es besser. Sie strich mir zum Abschied kurz über die Wange.
»Gott mit dir, Claire. Wir werden uns wiedersehen – wenn du mir meinen Bruder zurückbringst.«
Sechster Teil
Kapitel 34
Dougal erzählt
Auch wenn die Zivilisation eindeutig ihre Nachteile hatte, dachte ich grimmig, so ließen sich ihre Vorteile doch nicht leugnen. Man nehme zum Beispiel das Telefon. Oder auch Zeitungen, die zwar in Metropolen wie Edinburgh oder sogar Perth schon zum Alltag gehörten, in der Wildnis der schottischen Highlands jedoch völlig unbekannt waren.
Ohne derartige Massenkommunikationsmittel verbreiteten sich Neuigkeiten mit der Geschwindigkeit ihres Überbringers von einer Person zur nächsten. Im Allgemeinen fanden die Menschen zwar alles Nötige heraus, jedoch um Wochen verzögert. Daher konnten wir bei unserer Suche nach Jamies Aufenthaltsort höchstens darauf bauen, dass ihm vielleicht jemand begegnete und eine Nachricht nach Lallybroch schickte – was Wochen dauern konnte. Der Winter stand kurz bevor, so dass es nicht mehr lange möglich sein würde, nach Beauly zu gelangen. Ich saß am Feuer und schob Stöckchen in die Flammen, während ich die Möglichkeiten abwog.
Wohin konnte sich Jamie nach seiner Flucht gewendet haben? Nicht zurück nach Lallybroch, das stand fest, und mit ziemlicher Sicherheit auch nicht nach Norden zu den MacKenzies. Nach Süden, um vielleicht wieder mit Hugh Munro oder einigen seiner früheren Kumpane zusammenzutreffen? Nein, mit größter Wahrscheinlichkeit nach Nordosten, Richtung Beauly. Aber wenn ich mir das denken konnte, konnten es die Männer der Patrouille womöglich ebenso.
Murtagh kehrte vom Holzsammeln zurück und ließ einen Armvoll Äste zu Boden fallen. Er ließ sich im Schneidersitz auf einer Ecke seines Plaids nieder und legte den Rest zum Schutz vor der Kälte um sich. Dann richtete er den Blick zum Himmel, wo der Mond hinter den dahinjagenden Wolken aufleuchtete.
»Es wird vorerst noch nicht schneien«, sagte er stirnrunzelnd. »Eine Woche noch, höchstens zwei. Vielleicht schaffen wir es bis dahin nach Beauly.« Tja, schön, meine Gedanken bestätigt zu finden, dachte ich nur.
»Du glaubst, er ist dort?«
Der hagere kleine Schotte zuckte mit den Achseln und zog sich das Plaid noch enger um die Schultern.
»Schwer zu sagen. Er wird nur langsam vorankommen; er muss sich ja tagsüber verstecken und kann keine Straßen nehmen. Und er hat kein Pferd.« Er kratzte sich nachdenklich über das stoppelige Kinn. »Wir können ihn nicht finden; wir sorgen besser dafür, dass er uns findet.«
»Wie denn? Mit Leuchtmunition?«, schlug ich sarkastisch vor. Eins musste man Murtagh lassen; meine Worte konnten so unpassend sein, wie sie wollten, ich konnte mich darauf verlassen, dass er sich verhielt, als hätte ich nichts gesagt.
»Ich habe dein Arzneiköfferchen mitgebracht«, sagte er und wies kopfnickend auf die Satteltaschen am Boden. »Und du hast in Lallybroch einen guten Ruf; die Leute in der Gegend werden wissen, dass du Heilerin bist.« Er nickte vor sich hin. »Aye, das wird gehen.« Und ohne jede weitere Erklärung legte er sich hin, rollte sich in sein Plaid und schlief seelenruhig ein, ohne den Wind in den Bäumen zu beachten, das leise Prasseln des Regens – oder mich.
Ich fand schnell heraus, was er meinte. Wir bewegten uns ganz offen – und langsam – über die größeren Straßen und hielten an jeder Kate, in jeder Siedlung und jedem Dorf an unserem Weg. Und bei jedem Halt verschaffte er sich rasch einen Überblick über die Anwohnerschaft, trieb alles zusammen, was krank oder verletzt war, und brachte mir die Leute zur Behandlung. Da es in dieser Gegend so gut wie keine Ärzte gab, fand sich immer jemand, der etwas auszukurieren hatte.
Während ich mit meinen Tränken und Salben zugange war, plauderte er beiläufig mit den Freunden und Verwandten der Betroffenen und versäumte es dabei nie, den Verlauf unseres Weges nach Beauly zu beschreiben. Wenn es einmal zufällig keine Patienten gab, übernachteten wir trotzdem in den Katen oder Wirtshäusern. Dort sang Murtagh zur Unterhaltung unserer Gastgeber und für unser Abendessen, denn er bestand hartnäckig darauf, dass ich mein Geld aufsparte für den Fall, dass es benötigt wurde, wenn wir Jamie fanden.
Da er von Natur aus ja nicht unbedingt redselig war, brachte er mir einige seiner Lieder bei, mit denen wir uns die Zeit vertrieben, während wir von einem Ort zum nächsten zogen.