»Deine Stimme ist ganz anständig«, stellte er eines Abends wohlwollend fest, nachdem ich mich mit einigem Erfolg an »The Dowie Dens of Yarrow« versucht hatte. »Nicht geschult, aber kräftig und klar. Versuch es noch einmal, dann singst du es heute Abend mit mir zusammen. Es gibt da ein kleines Wirtshaus in einem Ort namens Limraigh.«
»Meinst du wirklich, es wird funktionieren?«, fragte ich. »Was wir hier machen, meine ich.«
Er rutschte etwas im Sattel herum, ehe er antwortete. Er war kein geborener Reiter und sah immer aus wie ein Äffchen, das man dressiert hatte, ein Pferd zu reiten, brachte es aber trotzdem fertig, am Ende des Tages taufrisch aus dem Sattel zu steigen, während ich gerade noch in der Lage war, mein Pferd anzubinden, ehe ich davonstolperte und zusammenbrach.
»Oh, aye«, sagte er schließlich. »Früher oder später. Du bekommst doch immer mehr Kranke zu sehen, oder?«
Ich musste zugeben, dass das stimmte.
»Also«, sagte er. »Das heißt, dass sich dein Können herumspricht. Und das ist genau das, was wir wollen. Aber es geht vielleicht noch besser. Deshalb wirst du heute Abend singen. Außerdem …« Er zögerte, als ob ihm sein nächster Vorschlag widerstrebte.
»Außerdem was?«
»Verstehst du etwas von der Wahrsagerei?«, fragte er misstrauisch. Ich verstand den Grund für seine Zurückhaltung, er hatte das Toben der Hexenjagd in Cranesmuir schließlich erlebt.
Ich lächelte. »Ein bisschen. Willst du, dass ich es versuche?«
»Aye. Je mehr wir zu bieten haben, desto mehr Leute werden kommen, um uns zu sehen – und es anderen weitererzählen. Und es wird sich herumsprechen, bis der Junge von uns hört. Und dann finden wir ihn. Willst du es versuchen?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn es hilft, warum nicht?«
An diesem Abend absolvierte ich in Limraigh mein Debüt als Sängerin und Wahrsagerin, und das mit beträchtlichem Erfolg. Ich stellte fest, dass Mrs. Graham recht gehabt hatte – es waren die Gesichter, nicht die Hände, die einem die nötigen Hinweise gaben.
Unsere Berühmtheit verbreitete sich Stück für Stück, und in der folgenden Woche kamen die Leute schon aus den Häusern gelaufen, um uns zu begrüßen, wenn wir in ein Dorf hineinritten, und sie überhäuften uns mit Pennys und kleinen Geschenken, wenn wir davonritten.
»Weißt du, wir könnten damit tatsächlich Karriere machen«, stellte ich eines Abends fest, während ich unsere Einnahmen verstaute. »Schade, dass es hier nirgendwo ein Theater gibt – wir könnten eine richtige Varieténummer daraus machen: Murtagh, der Magier, und seine glamouröse Assistentin Gladys.«
Murtagh reagierte zwar nur mit seinem üblichen gleichgültigen Schweigen, doch es stimmte; wir arbeiteten wirklich gut zusammen. Vielleicht lag es ja daran, dass unser Ziel uns einte, obwohl wir zwei so grundlegend unterschiedliche Persönlichkeiten waren.
Das Wetter wurde zunehmend schlechter und unser Tempo noch langsamer, doch wir hatten immer noch kein Wort von Jamie gehört. In der Nähe von Belladrum begegneten wir eines Abends im strömenden Regen einer Gruppe echter Zigeuner.
Ich blinzelte ungläubig, als ich die bunt bemalten Wohnwagen auf der Lichtung an der Straße entdeckte. Es sah haargenauso aus wie das Zigeunerlager, das jedes Jahr nach Hampstead kam.
Die Menschen sahen ebenfalls genauso aus: dunkelhäutig, fröhlich, laut und herzlich. Eine Frau, die unser Zaumzeug klirren hörte, steckte den Kopf aus einem Wohnwagenfenster. Sie betrachtete uns einen Moment, dann stieß sie einen Ausruf aus, und es wimmelte plötzlich von grinsenden braunen Gesichtern unter den Bäumen.
»Lass mich deine Geldbörse aufbewahren«, sagte Murtagh ernst, während er den jungen Mann beobachtete, der munter auf uns zustolziert kam, ohne den Regen zu beachten, der ihm das farbige Hemd durchtränkte. »Und wende nie jemandem den Rücken zu.«
Ich war vorsichtig, doch man hieß uns mit weitschweifigen Gesten willkommen und lud uns zum Abendessen ein. Es roch köstlich – eine Art Eintopf –, und ich nahm die Einladung begeistert an, ohne auf Murtaghs mürrische Spekulationen zu achten, von welchem Tier wohl die Fleischeinlage stammen mochte.
Sie sprachen nur wenig Englisch und noch weniger Gälisch; wir verständigten uns weitgehend mit Hilfe von Gebärden und einer Art Räuberlatein, das seinen Ursprung vor allem im Französischen zu haben schien. Es war warm und gemütlich in dem Wohnwagen, in dem wir aßen; Männer, Frauen und Kinder bedienten sich zwanglos aus Schüsseln, hockten dort, wo sie gerade Platz fanden, und löffelten den köstlichen Eintopf mit Brotstücken auf. Es war das Beste, was ich seit Wochen zu essen bekommen hatte, und ich aß, bis ich aus den Nähten zu platzen drohte. Danach bekam ich zwar kaum Luft zum Singen, tat aber mein Bestes. An den schwierigen Stellen summte ich nur mit und überließ Murtagh die erste Geige.