Randall blieb noch einmal stehen, als er mich zur Tür hinausführte. »Ich bin gleich wieder da.« Es war die Stimme eines Mannes, der sich widerstrebend von seiner großen Liebe verabschiedet, und mir verdrehte es den Magen.
Jamie, der von der Fackel hinter ihm in Rot getaucht wurde, neigte anmutig den Kopf über seine festgenagelte Hand. »Ich werde dann wohl hier sein.«
Black Jack. Ein gebräuchlicher Name für Rauhbeine und Schurken des achtzehnten Jahrhunderts. Ein Klischee aus Abenteuerromanen, das unwiderstehliche Räuber heraufbeschwor, kühne Helden mit Federhüten. Die Wirklichkeit schritt neben mir her.
Niemand macht sich Gedanken darüber, was hinter solchen Geschichten steckt. Tragödien und Terror, durch die Zeit verwandelt. Man füge ein wenig Erzählkunst hinzu, und voilà – ein packendes Abenteuer, das die Herzen schneller schlagen und die Jungfrauen aufseufzen lässt. Mein Herz schlug in der Tat rasend schnell, und nie gab es eine Jungfrau, die seufzte wie Jamie, während er seine verstümmelte Hand wiegte.
»Hier entlang.« Es war das Erste, was Randall sagte, seit wir die Zelle verlassen hatten. Er deutete auf einen schmalen Alkoven in der Wand, der nicht beleuchtet war. Der Ausgang, den er Jamie gegenüber erwähnt hatte.
Inzwischen hatte ich mich wieder so weit im Griff, dass ich sprechen konnte, und das tat ich auch. Ich trat einen Schritt zurück, so dass der Fackelschein auf mich fiel, denn ich wollte, dass ihm mein Gesicht in Erinnerung blieb.
»Ihr habt mich gefragt, Hauptmann, ob ich eine Hexe bin«, sagte ich mit leiser, ruhiger Stimme. »Jetzt gebe ich Euch meine Antwort. Ich bin eine Hexe. Als Hexe verfluche ich Euch. Ihr werdet heiraten, Hauptmann, und Eure Frau wird ein Kind bekommen, aber Ihr werdet seine Geburt nicht erleben. Ich verfluche Euch mit Wissen, Jack Randall – ich nenne Euch die Stunde Eures Todes.«
Sein Gesicht lag im Schatten, doch der Glanz seiner Augen verriet mir, dass er mir glaubte. Warum auch nicht? Denn ich sagte die Wahrheit, ich wusste das genau. Ich sah die Linien von Franks Stammbaum vor mir, als wären sie in die Fugen zwischen den Mauersteinen gemalt, und ich sah die Namen, die sie verbanden. »Jonathan Wolverton Randall«, las ich leise von den Steinen ab, »geboren am dritten September 1705. Gestorben am …« Er bewegte sich ruckartig auf mich zu, aber nicht schnell genug, um mich am Sprechen zu hindern.
Eine schmale Tür an der Rückseite des Alkovens krachte mit quietschenden Scharnieren auf. Da ich auf weitere Dunkelheit gefasst gewesen war, wurde ich geblendet, weil Licht auf Schnee aufblitzte. Ein rascher Stoß von hinten ließ mich kopfüber in die weißen Verwehungen fallen, und die Tür schlug hinter mir zu.
Ich lag in einer Art Graben an der Rückseite des Gefängnisses. Die Schneehügel, die mich umgaben, bedeckten vermutlich die Abfälle des Gefängnisses. Unter der Schneedecke, auf die ich gefallen war, lag etwas Hartes; Holz vielleicht. Als ich an der Wand emporblickte, die über mir aufragte, sah ich Streifen und Rinnsale an den Steinen herunterlaufen – die Spuren der Abfälle, die in zwölf Metern Höhe aus einer Schiebetür gekippt wurden. Dort musste sich die Küche befinden.
Ich drehte mich um, weil ich aufstehen wollte, und sah mich einen großen blauen Augenpaar gegenüber. Das Gesicht war fast genauso blau wie die Augen und so hart wie der Holzklotz, für den ich den Mann gehalten hatte. Ich kam stolpernd hoch und wankte würgend gegen die Gefängnismauer.
Kopf nach unten, tief durchatmen, sagte ich mir entschlossen. Du wirst jetzt
Schließlich verlangsamte sich meine Atmung und mit ihr mein rasender Puls. Als die Panik nachließ, zwang ich mich, zu der traurigen Gestalt zurückzugehen, während ich mir krampfhaft die Hände am Rock abwischte. Ich weiß nicht, ob es Mitleid war, Neugier und schlichter Schock, der mich noch einmal hinsehen ließ. Ohne die Plötzlichkeit der Überraschung hatte der Tote nichts Angsteinflößendes an sich, genau wie alle Toten. Ganz gleich, wie schrecklich der Tod eines Menschen ist, es ist nur die Gegenwart der leidenden Seele, die furchtbar ist; ist sie erst fort, ist es nur noch ein Gegenstand.
Der blauäugige Fremde war gehängt worden. Er war nicht der einzige Insasse des Grabens. Ich verzichtete zwar darauf, im Schnee zu graben, doch jetzt, da ich wusste, was der Graben enthielt, konnte ich die Umrisse gefrorener Gliedmaßen und die sanften Rundungen der Köpfe unter dem Schnee deutlich erkennen. Mindestens ein Dutzend Männer lagen hier und warteten entweder darauf, dass Tauwetter ihre Beerdigung erleichtern würde – oder dass die Tiere des nahe gelegenen Waldes sie auf ihre Weise entsorgten.