»Nur eine.« Jamie stützte sich unstet auf seinen Ellbogen und presste das Kinn auf seine Brust, während er mit dem scharfen Messer ungeschickt unter seine linke Brust zielte. Sir Marcus’ Hand schoss ihrerseits ein wenig zittrig hervor und packte Jamies Handgelenk.
»Lasst mich lieber helfen, Mann, Ihr landet sonst noch darauf.« Nach kurzem Zögern überließ ihm Jamie das Messer und lehnte sich an die zusammengefaltete Decke zurück. Er fasste sich knapp unterhalb der Brustwarze an die Brust.
»Da.« Sir Marcus streckte den Arm nach der Anrichte aus und griff nach einer Lampe, die er auf seinen Hocker stellte. Aus dieser Entfernung konnte ich nicht erkennen, was sich MacRannoch aus der Nähe betrachtete; es sah aus wie eine kleine rote, fast kreisrunde Brandverletzung. Er trank noch einen bedächtigen Schluck aus seinem Whiskyglas, dann stellte er es neben die Lampe und drückte Jamie die Messerspitze auf die Brust. Ich muss mich unwillkürlich bewegt haben, denn Lady Annabelle klammerte sich mit einer gemurmelten Ermahnung an meinen Ärmel. Die Messerspitze drang ein und drehte sich ruckartig, als würde eine weiche Stelle aus einem reifen Pfirsich geschnitten. Jamie stöhnte auf, und ein dünnes rotes Rinnsal lief ihm über den Bauch auf die Decke. Er legte sich darauf, um die Blutung durch den Druck der Matratze zu stillen.
Sir Marcus legte das Obstmesser beiseite. »Sobald es geht, Mann«, riet er Jamie, »geht mit Eurer Frau ins Bett und lasst Euch von ihr trösten. Das tun die Frauen gern«, setzte er hinzu und blickte grinsend zur Tür hinüber, »weiß der Himmel, warum.«
Lady Annabelle flüsterte: »Kommt jetzt, Liebe. Besser, wenn er ein bisschen für sich bleibt.« Ich beschloss, dass Sir Marcus Jamie allein verbinden konnte, und stolperte über die schmale Treppe hinter ihr her zu meinem Zimmer.
Wenig später fuhr ich aus dem Schlaf, weil ich von endlosen Wendeltreppen geträumt hatte, an deren Fuß das Grauen lauerte. Die Müdigkeit zerrte an meinem Rücken, und meine Beine schmerzten, doch ich setzte mich in meinem geborgten Nachthemd auf und tastete nach Kerze und Feuerstein. So weit von Jamie entfernt, fühlte ich mich beklommen. Was, wenn er mich brauchte? Schlimmer noch, was, wenn die Engländer tatsächlich kamen, während er allein und unbewaffnet dort unten lag? Ich presste mein Gesicht an das kalte Fenster und ließ mich vom unablässigen Tanzen und Fauchen des Schnees vor den Scheiben trösten. Solange der Sturm andauerte, waren wir vermutlich sicher. Ich zog mir einen Morgenmantel über, griff nach der Kerze und meinem Dolch und begab mich zur Treppe.
Das Haus war still bis auf das Knistern des Feuers. Jamie schlief, oder er hatte zumindest die Augen geschlossen und das Gesicht zum Feuer gedreht. Ich setzte mich auf den Teppich vor dem Kamin, leise, um ihn nicht zu wecken. Dies war das erste Mal, dass wir allein waren – seit jenen verzweifelten Minuten im Gefängnisverlies von Wentworth. Ich fühlte mich, als wäre das Jahre her. Sorgfältig betrachtete ich Jamie, so als wäre er ein Fremder.
Körperlich schien es ihm angesichts der Umstände nicht übermäßig schlecht zu gehen, doch ich machte mir trotzdem Sorgen. Er hatte während der Operation so viel Whisky getrunken, dass ein Pferd davon umgefallen wäre, und auch wenn er sich übergeben hatte, hatte er einiges davon noch in sich.
Jamie war nicht der erste Held, mit dem ich es zu tun hatte. Meistens waren die Männer im Feldlazarett zu schnell wieder fort, als dass die Schwestern sie näher kennenlernen konnten. Doch hin und wieder erlebte man einen, der zu wenig redete oder zu viele Witze machte, der sich nicht nur wegen Schmerzen oder Einsamkeit so steif verhielt.
Zumindest wusste ich ungefähr, was man für diese Männer tun konnte. Wenn man etwas Zeit hatte und sie von der Sorte waren, die redete, um die Finsternis in Schach zu halten, setzte man sich zu ihnen und hörte zu. Wenn sie schweigsam waren, berührte man sie im Vorübergehen und hielt Ausschau nach dem Moment, in dem sie die Stellung aufgaben und man sie aus der Deckung holen und sie festhalten konnte, während sie mit ihren Dämonen rangen. Wenn man Zeit dazu hatte. Wenn nicht, gab man ihnen Morphium und hoffte, dass sie jemand anderen finden würden, der ihnen zuhörte, während man sich mit jemandem befasste, dessen Verletzungen sichtbar waren.
Früher oder später würde Jamie mit jemandem reden. Zeit war genug. Doch ich hoffte, dass es nicht ich sein würde.
Er lag bis zur Taille bloß, und ich beugte mich vor, um seinen Rücken zu betrachten. Er bot einen bemerkenswerten Anblick. Eine knappe Handbreit trennte die geschwollenen Striemen voneinander, über deren Regelmäßigkeit man nur staunen konnte. Er musste wie ein Wachtposten dagestanden haben, während es geschah. Ich warf einen verstohlenen Blick auf seine Handgelenke – unversehrt. Er hatte also sein Wort gehalten, sich nicht zu wehren. Und hatte die Prozedur reglos ertragen, um das vereinbarte Lösegeld für mein Leben zu bezahlen.