Es war klar, dass er mir gern Fragen gestellt hätte, doch er war so gütig, mich nicht zu bedrängen. Stattdessen hob er die Hand zu einer segnenden Abschiedsgeste.
»Ihr seid mir willkommen«, sagte er erneut. »Ich schicke Euch einen Bruder, der Euch etwas zu essen bringt.« Er betrachtete mich noch einmal von oben bis unten. »Und etwas zum Waschen.« Seine Hände beschrieben ein Kreuzzeichen über mir, vielleicht zum Abschied, vielleicht auch, um den Schmutz zu exorzieren. Dann verließ er mich mit wirbelnden braunen Röcken.
Plötzlich begriff ich, wie müde ich war. Ich sank auf das Bett und fragte mich, ob ich wohl lange genug wach bleiben konnte, um zu essen
Ich hatte einen schrecklichen Alptraum. Jamie befand sich auf der anderen Seite einer massiven Steinwand ohne Tür. Ich konnte ihn unablässig schreien hören, doch ich kam nicht zu ihm. Ich hämmerte verzweifelt gegen die Wand, nur um zu sehen, wie meine Hände darin einsanken, als wäre sie aus Wasser.
»Autsch!« Aufgeschreckt setzte ich mich in dem schmalen Bett auf und hielt mir die Hand, die ich gegen die unnachgiebige Wand neben der Liege geschlagen hatte. Ich wiegte mich vor und zurück und legte mir die schmerzende Hand zwischen die Oberschenkel, dann begriff ich, dass immer noch Schreie erschollen.
Ich rannte in den Flur – und blieb abrupt stehen. Jamies Tür stand offen, und flackerndes Laternenlicht strömte in den Flur.
Ein Mönch in einer schwarzen Kutte, den ich noch nicht kannte, war bei Jamie und hielt ihn fest. Durch die Verbände auf Jamies Rücken drang frisches Blut, und seine Schultern bebten, als wäre ihm kalt.
»Ein Alptraum«, erklärte der Mönch, als er mich im Eingang stehen sah. Er legte mir Jamie in die Arme und ging zum Tisch, um ein Tuch und den Wasserkrug zu holen.
Jamie zitterte, und in seinem Gesicht glänzte der Schweiß. Er hatte die Augen geschlossen und atmete schwer mit heiseren, keuchenden Lauten. Der Mönch setzte sich neben mich und begann, ihm mit sanfter Hand das Gesicht abzutupfen und ihm das feuchte Haar aus den Schläfen zu streichen.
»Ihr müsst seine Frau sein«, sagte er zu mir. »Ich denke, es geht ihm gleich besser.«
Das Zittern ließ tatsächlich innerhalb von ein oder zwei Minuten nach, und Jamie öffnete seufzend die Augen.
»Es geht wieder«, sagte er. »Claire, es geht schon wieder. Aber sorge um Gottes willen dafür, dass dieser Gestank verschwindet.«
Erst jetzt wurde mir bewusst, wie es in dem Zimmer roch – ein leichter, würziger Blumenduft, der so alltäglich war, dass ich mir gar nichts dabei gedacht hatte. Lavendel. Das Parfum zahlreicher Seifen und Toilettenwässerchen. Ich hatte ihn zuletzt in dem Verlies von Wentworth gerochen, wo er Hauptmann Jonathan Randalls Leinenwäsche anhaftete.
Die Quelle des Duftes war ein kleiner Metallbecher, der mit pflanzenduftendem Öl gefüllt war und an einem in Form einer Rose geschmiedeten Eisenständer über einer Kerzenflamme hing.
Es war beruhigend gedacht, hatte aber eindeutig nicht die gewünschte Wirkung. Jamie, dem das Atmen jetzt leichter fiel, saß ohne Hilfe da und hielt den Becher Wasser, den ihm der Mönch gegeben hatte. Doch sein Gesicht war immer noch weiß, und sein Mundwinkel zuckte beklommen.
Ich nickte dem Mönch zu, ihm die Bitte zu erfüllen, und er schlug den Becher mit dem heißen Öl in ein zusammengefaltetes Handtuch ein und trug ihn davon.
Jamie stieß einen langen Seufzer der Erleichterung aus, dann zuckte er zusammen, weil seine Rippen schmerzten.
»Dein Rücken ist ein bisschen aufgeplatzt«, erklärte ich und drehte ihn sacht, um an den Verband zu gelangen. »Aber es ist nicht schlimm.«
»Ich weiß. Ich muss mich im Schlaf auf den Rücken gedreht haben.« Die zusammengefaltete Decke, die ihn auf der Seite halten sollte, war auf den Boden gefallen. Ich hob sie auf und legte sie auf das Bett.
»Ich glaube, daher kam der Traum. Ich habe geträumt, ich würde ausgepeitscht.« Er erschauerte und trank einen Schluck Wasser, dann reichte er mir den Becher. »Ich brauche etwas Kräftigeres, falls es zur Hand ist.«
Wie auf Kommando kam unser hilfreicher Besucher durch die Tür, einen Krug Wein in der einen Hand und ein Fläschchen Mohnsirup in der anderen.
»Alkohol oder Opium?«, fragte er Jamie lächelnd und hielt ihm beide Gefäße hin. »Ihr dürft Euch das Betäubungsmittel aussuchen.«
»Dann hätte ich gern den Wein. Für heute Nacht habe ich genug geträumt«, sagte Jamie und lächelte seinerseits schief. Er nippte langsam an seinem Wein, während mir der Bruder half, die fleckigen Verbände zu wechseln, und ihm Ringelblumensalbe auf die Wunden strich. Der Mönch wandte sich erst zum Gehen, als ich Jamie wieder zum Schlafen hingelegt und zugedeckt hatte. Sein Rücken war wieder an die stützende Decke gelehnt.
Im Vorübergehen beugte er sich über Jamie und deutete ein Kreuzzeichen über seinem Kopf an. »Schlaft gut«, sagte er.