Das Rot des ewigen Lichts brannte gleichbleibend ruhig und spiegelte sich im Gold der Monstranz. Die Flammen der weißen Kerzen vor den Statuen des Nothelfers Ägidius und der Mutter Gottes flackerten und zuckten hin und wieder, weil die brennenden Dochte auf kleine Unebenheiten stießen und Wachs oder Feuchtigkeit verspritzten. Doch die rote Lampe brannte heiter und gelassen, und ihr Licht versagte nie.
Und wenn es die Ewigkeit gab, und sei es nur als Idee, dann hatte Anselm vielleicht recht, und alles war möglich. Und alle Liebe?, fragte ich mich. Ich hatte Frank geliebt, liebte ihn noch. Und ich liebte Jamie, mehr als mein Leben. Doch gefangen in den Grenzen von Zeit und Sein, konnte ich sie nicht beide haben. Jenseits der Grenzen vielleicht? Gab es einen Ort, an dem keine Zeit mehr existierte oder sie zum Stillstand kam? Anselm glaubte das. Ein Ort, an dem alles möglich war. Und nichts notwendig war.
Und gab es dort Liebe? Jenseits der Grenzen von Sein und Zeit … war alle Liebe möglich? War sie notwendig?
Die Stimme meiner Gedanken schien Onkel Lamb zu sein. Meine Familie und alle Liebe meiner Kindheit. Ein Mann, der nie von Liebe gesprochen hatte, der es nicht gebraucht hatte, denn ich wusste, dass er mich liebte, so sicher, wie ich wusste, dass ich lebte. Denn wo alle Liebe ist, sind keine Worte notwendig. Sie ist alles. Sie ist unsterblich. Und sie ist genug.
Die Zeit verrann, ohne dass ich es merkte, und ich war verblüfft, als Anselm plötzlich vor mir auftauchte. Er kam durch die kleine Tür neben dem Altar. Aber hatte er nicht hinter mir gesessen? Als ich mich umschaute, sah ich, wie einer der jungen Mönche, dessen Namen ich nicht kannte, am rückwärtigen Eingang das Knie beugte. Anselm verneigte sich tief vor dem Altar, dann winkte er mich kopfnickend zur Tür.
»Ihr wart fort?«, sagte ich, als wir die Kapelle verlassen hatten. »Aber ich dachte, Ihr dürft das, äh, das Sakrament nicht allein lassen?«
Er lächelte seelenruhig. »Das habe ich ja auch nicht,
Ich verkniff es mir einzuwenden, dass ich nicht zählte. Es gab ja schließlich keine staatlich geprüften Beter. Man brauchte nur ein Mensch zu sein, und ich ging davon aus, dass ich das noch war, obwohl ich mich manchmal kaum noch so fühlte.
Jamies Kerze brannte noch, als ich an seiner Tür vorüberkam, und ich hörte ihn umblättern. Ich hätte gern angehalten, doch Anselm ging weiter, um mich zur Tür meines Zimmers zu bringen. Dort blieb ich stehen, um ihm eine gute Nacht zu wünschen und ihm zu danken, dass er mich in die Kapelle mitgenommen hatte.
»Es war … erleichternd«, sagte ich. Es fiel mir schwer, das richtige Wort zu finden.
Er nickte und sah mir ins Gesicht. »Oui, Madame. Das ist es.« Als ich mich zum Gehen wandte, sagte er: »Ich habe Euch ja gesagt, dass das heilige Sakrament nicht allein war, weil Ihr da wart. Doch was ist mit Euch,
Ich hielt inne und sah ihn einen Moment an, ehe ich antwortete.
»Nein«, sagte ich. »Ich war nicht allein.«
Kapitel 39
Der Preis für eine Menschenseele
Am Morgen wollte ich wie üblich nach Jamie sehen und hoffte, dass es ihm gelungen war, etwas zu frühstücken. Kurz vor seinem Zimmer glitt Murtagh aus einem Alkoven in der Wand und versperrte mir den Weg.
»Was ist?«, sagte ich abrupt. »Was ist passiert?« Mein Herz schlug schneller, und meine Handflächen waren plötzlich feucht.
Die Panik muss mir deutlich anzusehen gewesen sein, denn Murtagh schüttelte beruhigend den Kopf. »Nein, es geht ihm gut.« Er zuckte mit den Schultern. »Oder zumindest nicht schlechter als bisher.« Er drehte mich um, indem er mir leicht die Hand unter den Ellbogen legte, und ging mit mir zurück durch den Korridor. Ich erschrak und dachte, dass dies das erste Mal war, dass mich Murtagh von sich aus berührte; seine Hand lag leicht und kräftig auf meinem Arm wie ein Pelikanflügel.
»Was ist denn mit ihm?«, wollte ich wissen. Das zerfurchte Gesicht des kleinen Mannes war so ausdruckslos wie immer, doch seine faltigen Augenwinkel zuckten.
»Er will dich einfach jetzt nicht sehen.«
Ich blieb stehen und entzog mich seinem Griff.
»Und warum nicht?«, fragte ich.
Murtagh zögerte, als wählte er seine Worte mit großer Sorgfalt. »Nun ja, es ist nur … Er hat beschlossen, dass es besser wäre, wenn du ihn hierlässt und nach Schottland zurückkehrst. Er …«
Der Rest seines Satzes ging unter, weil ich mich rücksichtslos an ihm vorüberschob.
Die schwere Tür schlug leise hinter mir zu. Jamie lag dösend auf dem Bauch im Bett. Er war nicht zugedeckt und trug nur das kurze Gewand eines Novizen; das Holzkohlebecken in der Ecke erfüllte das Zimmer mit einer angenehmen Wärme, auch wenn die Luft ein wenig verqualmt war.
Er fuhr heftig zusammen, als ich ihn berührte. Seine Augen waren glasig vom Schlaf, und seine Träume schienen ihm nachzuhängen. Ich nahm seine Hand zwischen meine Hände, doch er zog sie fort. Mit beinahe verzweifelter Miene schloss er die Augen und vergrub das Gesicht in seinem Kissen.