Ich war bemüht, mir meine Verstörung nicht anmerken zu lassen, als ich mir wortlos einen Hocker nahm und mich an seinen Kopf setzte. »Ich werde dich nicht berühren«, sagte ich, »aber du musst mit mir reden.« Ich wartete mehrere Minuten ab, während er reglos dalag und einfach nur den Kopf einzog. Schließlich seufzte er und setzte sich. Langsam und schmerzerfüllt schwang er die Beine über die Kante der Liege.
»Aye«, sagte er ausdruckslos, ohne mich anzusehen, »aye, das muss ich wohl. Ich hätte es schon eher tun sollen … aber ich war so feige zu hoffen, ich brauchte es nicht.« Seine Stimme war bitter, und er hielt den Kopf gesenkt und legte die Hände lose um seine Knie. »Eigentlich hätte ich mich nie für einen Feigling gehalten, doch genau das bin ich. Ich hätte Randall dazu bringen sollen, mich zu töten, doch ich habe es nicht getan. Ich hatte keinen Grund mehr zum Leben, aber zum Sterben fehlte mir der Mut.« Seine Stimme wurde so leise, dass ich ihn kaum noch hören konnte. »Und ich habe gewusst, dass ich dich noch einmal sehen muss … um es dir zu sagen … aber … Claire, meine Liebe … oh, meine Liebe.«
Er nahm sich das Kissen und drückte es an sich wie zum Schutz, als Ersatz für den Trost, den er bei mir nicht suchen konnte. Einen Moment ließ er die Stirn darauf ruhen, um seine Kraft zusammenzusuchen.
»Als du mich in Wentworth zurückgelassen hast, Claire«, sagte er leise, ohne den Kopf zu heben, »habe ich zugehört, wie sich deine Schritte draußen auf den Steinen entfernten, und ich habe zu mir gesagt, ich werde jetzt an sie denken. Ich werde mich an sie erinnern, an die Berührung ihrer Haut und den Duft ihres Haars und an ihren Mund, wenn er sich auf den meinen legt. Ich werde an sie denken, bis sich diese Tür wieder öffnet. Und ich werde morgen an sie denken, wenn ich am Galgen stehe, um am Ende Mut zu schöpfen. Von dem Moment, wenn sich die Tür öffnet, bis zu dem Moment, wenn ich diesen Raum verlasse, um zu sterben …«, seine Hände ballten sich kurz zu Fäusten und lösten sich wieder, »… werde ich gar nicht denken«, schloss er leise.
Dann hatte er in dem kleinen Verlies die Augen geschlossen und gewartet. Er hatte keine großen Schmerzen, solange er stillsaß, doch er wusste, dass es bald schlimmer werden würde. Er hatte zwar Angst vor dem Schmerz, doch Schmerzen waren nichts Neues für ihn. Und er wusste, wie er darauf reagieren würde, so dass er darauf gefasst war, durchzuhalten, während er hoffte, dass sich seine Kräfte nicht zu schnell erschöpfen würden. Auch die Vorstellung, körperlich missbraucht zu werden, erfüllte ihn jetzt höchstens noch mit leisem Ekel. Die Verzweiflung diente auf ihre Weise als Betäubungsmittel.
Das Zimmer hatte kein Fenster, an dem er die Zeit hätte ablesen können. Es war Mittag gewesen, als er in das Verlies gebracht wurde, doch sein Zeitgefühl war nicht verlässlich. Wie viele Stunden noch bis zum Morgengrauen? Sechs, acht, zehn? Bis zum Ende der Welt. Von grimmigem Humor erfüllt dachte er, dass Randall ihm zumindest den einen Gefallen getan hatte, dass ihm der Tod willkommen sein würde.
Als sich die Tür öffnete, hatte er aufgeblickt und … was erwartet? Dort war nur ein Mann; schlank, gutaussehend und ein wenig zerzaust, das Leinenhemd zerrissen und das Haar verworren, stand er an die Holztür gelehnt und beobachtete ihn.
Kurz darauf hatte Randall wortlos das Zimmer durchquert und war zu ihm getreten. Er hatte Jamie kurz die Hand in den Nacken gelegt, sich dann vorgebeugt und die festgenagelte Hand mit einem Ruck befreit, der Jamie an den Rand der Ohnmacht brachte. Ein Glas Brandy wurde vor ihn hingestellt, und eine kräftige Hand hatte ihm den Kopf angehoben und ihm geholfen, es zu trinken.
»Dann hat er mein Gesicht zwischen die Hände genommen und mir die Tropfen von den Lippen geleckt. Ich wäre gern zurückgewichen, aber ich hatte ihm ja mein Wort gegeben, also habe ich einfach nur stillgesessen.«
Randall hatte Jamies Kopf einen Moment festgehalten und ihm suchend in die Augen geblickt, dann hatte er ihn losgelassen und sich zu ihm an den Tisch gesetzt.
»Er hat eine ganze Weile dagesessen, ohne etwas zu sagen, und nur das Bein hin und her schwingen lassen. Ich hatte keine Ahnung, was er wollte, und mir war auch nicht nach Raten zumute. Ich war müde, und mir war ein wenig übel von den Schmerzen in meiner Hand. Also habe ich nach einer Weile einfach den Kopf auf meine Arme gelegt und das Gesicht abgewandt.« Er seufzte tief.
»Nach einem Moment konnte ich eine Hand auf meinem Kopf spüren, aber ich habe mich nicht bewegt. Er hat angefangen, mein Haar zu streicheln, ganz sanft, immer wieder. Es war nichts zu hören außer seinem heiseren Atem und dem Knistern des Feuers in dem Kohlebecken, und ich glaube … ich glaube, ich bin ein paar Sekunden eingeschlafen.«
Als er erwachte, stand Randall vor ihm.
»Geht es dir etwas besser?«, hatte Randall in abwesendem, höflichem Ton gefragt.