Als sie an diesem Morgen erwacht
war, hatte sie sich an Händen und Füßen gefesselt geglaubt. Sie hatte versucht,
ein Bein zu bewegen, und schon schnitten glühende Ketten ihr in Schenkel,
Brust und Bauch. Sie hatte einen Arm angehoben, doch eiserne Bande rissen ihn
wieder zurück. Es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis sie ins Badezimmer
gekrochen, und eine zweite, bis sie ausgezogen war und im warmen Wasser lag.
Beim Hineinsteigen fürchtete sie, vor Schmerzen ohnmächtig zu werden, ihre vom
Straßenpflaster aufgeschundene Haut brannte wie Feuer. Sie hörte ein Hämmern
und glaubte, es sei in ihrem Kopf, bis sie begriff, daß es von einem
aufgebrachten Nachbarn stammte. Als sie die Schläge der Kirchenuhr zählte, kam
sie nur auf vier; kein Wunder also, wenn der Nachbar gegen das donnernde
Rauschen in den alten Leitungen protestierte. Die Anstrengung des Kaffeekochens
hatte sie erschöpft, aber sie konnte sich plötzlich nicht mehr setzen, es war
genauso unerträglich, wie das Liegen. Blieb als Ruhestellung nur noch, daß sie
sich über den Ausguß beugte und die Ellbogen auf das Ablaufbrett stützte. Von
hier aus konnte sie den Hof überblicken, zum Zeitvertreib und zur Sicherheit,
und von hier aus hatte sie die Männer erspäht, die beiden Geschöpfe der
Finsternis - wie sie jetzt befand -, und gehört, daß sie der Concierge etwas
zuriefen und die dumme alte Ziege zurückblökte und dabei ihren blöden Kopf
schüttelte -»Nein, Madame Ostrakowa ist nicht da, nicht da« -, nicht da, in
zehn verschiedenen Variationen, daß es gleich einer Arie durch den Hof schallte
-
Wenn sie lesen wollte, mußte sie
das Buch auf das Ablaufbrett legen, und dort deponierte sie nach dem
Auftauchen der Männer auch die Waffe, bis sie die Öse am Kolben bemerkte und,
als praktische Frau, aus Bindfaden eine Schlaufe anfertigte und sich die
Pistole um den Hals hängte. So hatte sie beide Hände frei, um sich bei jeder
Fortbewegung abstützen zu können. Aber als die Waffe ihr gegen die Brüste
stieß, wurde ihr vor Schmerz übel. Nachdem die Männer wieder gegangen waren,
hatte sie bei ihren häuslichen Verrichtungen, die sie während ihrer Gefangenschaft
nicht vernachlässigen wollte, laut vor sich hinzureden begonnen. »Ein
Sie war wieder ein Kind, stürzte von ihrem Pony, und das Pony machte kehrt und trampelte auf ihr herum. Sie war wieder eine Frau und versuchte, Mutter zu werden. Sie entsann sich der drei Tage währenden unmenschlichen Qualen, als Alexandra sich erbittert dagegen wehrte, in das graue und gefährliche Licht einer unsauberen Moskauer Gebärklinik zu treten - das gleiche Licht, das jetzt vor dem Fenster herrschte und wie künstlicher Staub auf den gebohnerten Fußböden der Wohnung lag. Sie hörte sich nach Glikman rufen: »Er soll kommen, er soll kommen.« Sie erinnerte sich, daß ihr manchmal war, als trage sie Glikman, ihren Liebsten, und nicht ihr Kind; als versuche sein ganzer kraftvoller haariger Körper sich seinen Weg aus ihr - oder in sie? - zu bahnen; als liefere sie mit dieser Geburt Glikman der Gefangenschaft aus, vor der sie ihn so gern bewahrt hätte.
Warum war er nicht da, warum kam er nicht? fragte sie sich und verwechselte Glikman mit dem General und mit dem Magier. Sie wußte sehr wohl, warum Glikman nicht gekommen war, während sie mit Alexandra rang. Sie selbst hatte ihn gebeten, wegzubleiben. »Du hast den Mut zu leiden, und das genügt«, hatte sie zu ihm gesagt. »Aber du hast nicht den Mut, die Leiden anderer mitanzusehen, und auch darum liebe ich dich. Christus hatte es zu leicht«, sagte sie. »Christus konnte die Aussätzigen heilen, Christus konnte die Blinden sehend machen und die Toten wieder zum Leben erwecken. Aber du bist nicht Christus, du bist Glikman, und du kannst nichts gegen meine Leiden tun als zusehen und mitleiden, und davon hat niemand etwas.«
Aber der General und sein Magier konnten mehr, sagte sie sich ein wenig ungehalten; sie haben sich anheischig gemacht, mich von meinem Übel zu heilen, und ich habe ein Recht auf ihre Hilfe!