Gedämpftes Lachen stieg auf. Mit ausholender Bewegung hob einer der bärtigen Spieler seine Königin vom Feld, wirbelte sie scheinbar mühsam, als wäre sie zentnerschwer, ein paar Schritte weit und ließ sie ächzend niederplumpsen. Grigoriew runzelte düster die Stirn, während er diesen unerwarteten Zug betrachtete. Auf Tobys Nicken hin schoben sich Skordeno und de Silsky rechts und links an ihn heran, so dicht, daß Skordenos Schulter an die Schulter der Beute stieß, doch Grigoriew achtete nicht darauf. Tobys Hilfstruppen, die dies als ihr Signal auffaßten, schlängelten sich langsam durch die Menge und bildeten eine zweite Staffel hinter de Silsky und Skordeno. Jetzt wartete Toby nicht länger. Er trat direkt vor Grigoriew hin, lächelte und lüftete die Pelzmütze. Grigoriew erwiderte das Lächeln - ein wenig unsicher, es mochte sich um einen anderen Diplomaten handeln, an den er sich nicht mehr recht erinnerte - und lüftete gleichfalls den Hut.
»Wie geht's Ihnen heute, Herr Botschaftsrat?« fragte Toby auf Russisch, in leicht scherzendem Ton.
Verwirrter denn je sagte Grigoriew, vielen Dank, es gehe ihm gut.
»Ich hoffe, der kleine Ausflug am Freitag hat Ihnen Spaß gemacht«, fuhr Toby im gleichen ungezwungenen, aber sehr leisen Ton fort, während er Grigoriew unterhakte. »Ich sage immer, die alte Stadt Thun erfährt bei den Mitgliedern unserer noblen diplomatischen Gemeinde nicht die ihr gebührende Würdigung. Dabei empfiehlt sich dieses Städtchen, wenn Sie mich fragen, nicht nur wegen seiner Altertümlichkeit, sondern auch wegen seines Bankwesens. Finden Sie nicht auch?«
Diese Offensive war lang genug und bestürzend genug, um Grigoriew widerstandslos an den Rand des Zuschauerkreises zu befördern. Skordeno und de Silsky hatten dicht aufgeschlossen. »Mein Name ist Kurt Siebel«, raunte Toby vertraulich in Grigoriews Ohr, und seine Hand ruhte noch immer auf Grigoriews Arm. »Ich bin Chefrevisor der Berner Standard Bank in Thun. Wir haben ein paar Fragen betreffs des Privatkontos, das Dr. Adolf Glaser bei uns unterhält. Tun Sie, als wären wir Bekannte, es ist in Ihrem eigenen Interesse.« Sie gingen noch immer. Hinter ihnen folgten die Observanten in schräger Linie, wie Rugbyspieler, die einen Durchbruch des Gegners verhindern wollen. »Bitte beunruhigen Sie sich nicht«, fuhr Toby fort und zählte die Schritte, während Grigoriew sich an seiner Seite hielt. »Wenn Sie eine Stunde für uns erübrigen könnten, so ließe die Sache sich gewiß aus der Welt schaffen, ohne daß Ihr häusliches oder berufliches Leben eine Störung erfahren würde. Bitte.«
In der Welt eines Geheimagenten ist die Mauer zwischen Sicherheit und höchster Gefahr so gut wie nichts, ein dünnes Häutchen, das in Sekundenschnelle bersten kann. Er mag seinen Mann jahrelang umworben und für die Pfanne gemästet haben. Aber der Augenblick, wenn er ihn in die Pfanne haut - »wirst du, wirst du nicht?« -, ist ein Sprung entweder ins Verderben oder zum Sieg, und sekundenlang glaubte Toby, dem Verderben ins Antlitz zu blicken. Grigoriew war endlich stehengeblieben und hatte sich umgewandt, um ihn anzustarren. Er war bleich wie ein Schwerkranker. Sein Kinn hob sich, er öffnete den Mund zum Protest gegen eine monströse Anschuldigung. Er zerrte an seinem blockierten Arm, um sich loszumachen, aber Toby hielt ihn fest. Skordeno und de Silsky gaben Rückendeckung, doch die Entfernung zum Wagen betrug noch immer fünfzehn Meter, und das war nach Tobys Maßstäben ein weiter Weg, wenn man einen stämmigen Russen mit sich zerren mußte. Toby redete ununterbrochen; das gebot ihm sein Instinkt.
»Es liegen gewisse
Unregelmäßigkeiten vor, Herr Botschaftsrat. Schwere Unregelmäßigkeiten. Wir haben
eine Akte über Ihre werte Person, liest sich höchst unerfreulich. Wenn ich
dieses Dossier der Schweizer Polizei übergeben würde, so könnten alle
diplomatischen Proteste der Welt Sie nicht vor der peinlichsten öffentlichen
Bloßstellung schützen. Welche Folgen dies für ihre berufliche Karriere haben
würde, muß ich wohl nicht erwähnen. Bitte. Ich sagte
Grigoriew hatte sich noch immer nicht geregt. Er schien gelähmt vor Unentschlossenheit. Toby schubste ihn am Arm, aber Grigoriew stand wie ein Fels und schien den physischen Druck nicht wahrzunehmen. Toby schob energischer an. Skordeno und de Silsky rückten noch dichter auf, doch Grigoriew besaß die störrische Kraft eines Irren. Sein Mund öffnete sich, er schluckte, sein Blick heftete sich dümmlich auf Toby.
»Welche Unregelmäßigkeiten?« sagte er schließlich. Nur der Schock und die Ruhe in seiner Stimme gaben Grund zur Hoffnung. Sein dicker Körper stemmte sich auch weiterhin gegen jede Bewegung. »Wer ist dieser Glaser, von dem Sie sprechen?« fragte er heiser, im gleichen benommenen Ton. »Ich bin nicht Glaser. Ich bin Diplomat. Grigoriew. Das Konto, von dem Sie sprechen, ist durchaus legal. Als Handelsattache habe ich Immunität. Ich habe auch das Recht, im Ausland Bankkonten zu unterhalten.«