Das Hauptproblem war, daß Grigoriew unter doppelter Bewachung stand. Nicht nur hielten die Sicherheitsbeamten der Botschaft routinemäßig ein Auge auf ihn; seine Gattin stand ihnen an Wachsamkeit nicht nach. Die Observanten waren überzeugt, daß Madame Grigoriewa den Gatten einer kleinen Schwäche für Klein-Natascha verdächtigte. Diese Überzeugung bestätigte sich, als es Tobys Lauschtrupp gelang, den Kabelkasten an der Straßenecke anzuzapfen. Während eines einzigen Tages rief die Grigoriewa ihren Mann nicht weniger als dreimal an, nur um sich zu vergewissern, daß er wirklich noch in der Botschaft war. »George, ich meine, dieses Weib ist ein Ungeheuer«, wetterte Toby, als er davon erfuhr. »Liebe - ich meine, alles recht und schön. Aber totale Besitzergreifung, das verurteile ich absolut. Für mich ist das eine Prinzipfrage.«
Das einzige schwache Glied in der Kette war Grigoriews regelmäßige Donnerstag-Nachmittagsfahrt zur Autowerkstatt, wo er den Mercedes nachsehen ließ. Wenn ein erfahrener Altwagenfrisierer wie Canada Bill in der Nacht vom Mittwoch einen Motorschaden basteln könnte - so daß der Mercedes zwar vom Fleck käme, aber nur mit knapper Not -, wäre es dann nicht möglich, Grigoriew aus der Werkstatt zu schnappen, während er darauf wartete, daß der Mechaniker den Fehler entdeckte? Der Plan starrte von Unsicherheitsfaktoren. Selbst wenn alles klappen sollte, wie lange würden sie Grigoriew für sich haben? Zum Beispiel mußte Grigoriew an Donnerstagen rechtzeitig wieder zu Hause sein, um den allwöchentlichen Besuch des Kuriers Krassky nicht zu versäumen. Trotz allem blieb es ihr bisher einziger Plan - der schlechteste mit Ausnahme aller übrigen, sagte Toby -, und so begann ein banges fünftägiges Warten, während Toby und seine Teamführer über Ausweich-Prozeduren für die zahlreichen unerfreulichen Folgesituationen brüteten, die ein Platzen des Vorhabens nach sich ziehen würde: Jeder mußte sein Bündel geschnürt und sich in seinem Hotel abgemeldet haben; Fluchtpapiere und Geld allezeit bei sich tragen; Funkausrüstung verpacken und unter einem amerikanischen Namen in den Tresorräumen einer größeren Bank verwahren, damit eventuelle Spuren auf die Vettern, nicht auf den Circus verweisen würden; keinerlei Zusammenkünfte, nur kurzer Wortwechsel auf der Straße im Vorübergehen; Wellenlängen alle vier Stunden ändern. Toby kannte seine schweizerische Polizei, sagte er. Er hatte schon früher hier gejagt. Wenn die Sache aufflöge, sagte er, sei es umso besser, je weniger von seinen Jungens und Mädchen in der Gegend seien und Fragen beantworten könnten. »Gott sei Dank, daß die Schweizer bloß neutral sind!«
Als recht schwachen Trost und zur Auffrischung der anfälligen Kampfmoral der Observanten bestimmten Smiley und Toby, daß Grigoriews Überwachung während der bevorstehenden Wartetage auf vollen Touren weiterlaufen sollte. Der Beobachtungsposten am Brunnadernrain würde rund um die Uhr besetzt sein; Auto- und Motorradpatrouillen verkürzten die Abstände. Jeder sollte sprungbereit sein, für den unwahrscheinlichen Fall, daß Gott in einer völlig uncharakteristischen Anwandlung sich auf die Seite der Gerechten schlagen würde.
In der Tat schickte Gott ein
idyllisches Sonntagswetter, und dies brachte die Entscheidung. Gegen zehn Uhr
vormittags schien es, als sei die Alpensonne vom Oberland herabgestiegen, um
das Leben der umnebelten Talbewohner zu erleuchten. Im Bellevue Palace, wo
sonntags geradezu überwältigende Stille herrscht, hatte ein Kellner soeben
fürsorglich eine Serviette über Smileys Knie gebreitet. Smiley trank geruhsam
Kaffee und versuchte, sich auf die Wochenend-Ausgabe der
»Excusez, Mr. Barraclough, Sie werden am Telefon verlangt. Ein Mr. Anselm.«
Die Kabinen waren in der Haupthalle, die Stimme war Tobys Stimme, und der Name Anselm bedeutete Alarmstufe 6. »Das Büro in Genf meldete uns soeben, daß der Herr Generaldirektor jetzt auf dem Wege nach Bern ist.«
Das Büro in Genf war der Codename des Beobachtungspostens Brunnadernrain.
»Fährt seine Gattin mit?« sagte Smiley.
»Madame ist leider verhindert, sie macht einen Ausflug mit den Kindern«, erwiderte Toby. »Könnten Sie vielleicht in die Filiale herüberkommen, Mr. Barraclough?«
Tobys Filiale war ein Pavillon in einem gepflegten Park in der Nähe des Bundeshauses. Smiley war in fünf Minuten dort. Unten lag das Bett des grünen Flusses. In der Ferne ragten die besonnten Gipfel des Berner Oberlands prachtvoll in den blauen Himmel.
»Grigoriew hat die Botschaft vor fünf Minuten verlassen, allein, in Hut und Mantel«, sagte Toby zur Begrüßung. »Er ist zu Fuß auf dem Weg in die Stadt. Alles, wie am ersten Sonntag unserer Beschattung. Er geht zu Fuß zur Botschaft, zehn Minuten später marschiert er in die Stadt. Er will das Schachspiel verfolgen, George, kein Zweifel. Was sagen Sie?«
»Wer ist bei ihm?«