„Das brauchst du auch nicht“, sagte Niko. „Ob es dir gefällt oder nicht, D, Chase und ich sind alles, was du bei dieser Mission hast. Du machst das nicht allein.“
Dante fluchte, beschämt und dankbar für die selbstlose Unterstützung. „Also schön. Na, dann lasst uns loslegen.“
Mit dem Messer, das in ihren Hals biss, um sie zum Schweigen zu zwingen, drängte Ben Tess aus dem Haus, auf die Straße und in ein wartendes Auto. Er roch schlecht, nach saurem Blut und Schweiß und einem Hauch von Verwesung. Seine Sachen waren schmutzig und zerknittert, sein sonst golden schimmerndes Haar hing ihm ungewaschen, zerzaust und strähnig in die Stirn. Als er sie auf den Rücksitz des Autos stieß, erhaschte Tess einen Blick auf seine Augen. Sie waren stumpf und matt und sahen sie mit einer kalten Gleichgültigkeit an, die ihr eine Gänsehaut machte.
Und Ben war nicht allein.
Zwei weitere Männer warteten im Wagen. Beide saßen vorn. Beide hatten diesen leeren Ausdruck in den Augen.
„Wo ist es, Tess?“, fragte Ben, als er die Tür des Wagens zuschlug und sie in dem dunklen Fahrzeug einschloss. „Ich habe neulich eine Kleinigkeit in der Klink gelassen, aber jetzt ist sie nicht mehr da. Was hast du damit gemacht?“
Das Flashdrive, das er geleugnet hatte versteckt zu haben. Das sich gegenwärtig in Dantes Besitz befand. So sehr sie an Dante zweifelte, nach allem, was sie über ihn erfahren musste – was sie jetzt in Ben sah, war wesentlich schlimmer. Sie begegnete seinem verstörend leblosen Blick und schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nicht, wovon du redest.“
„Falsche Antwort, Doc.“
Tess war völlig unvorbereitet auf die Faust, die hervorschoss und sie an der Seite des Kopfes traf. Sie schrie auf, fiel hart in den Sitz und fühlte den Schmerz in ihrem Gesicht explodieren.
„Vielleicht kannst du in der Klinik klarer denken“, sagte Ben.
Auf sein Zeichen trat der Fahrer aufs Gas, und der Wagen rollte die Straße entlang. Sie fuhren vom North End zu ihrer Klink im Osten von Boston. Bens Lieferwagen stand hinter dem Gebäude, daneben parkte Noras alter Käfer.
„O Gott“, murmelte Tess. Der Anblick des Wagens ihrer Assistentin machte ihr Angst. „Was habt ihr mit ihr gemacht, Ben? Sag mir, dass du ihr nichts getan hast …“
„Komm mit, Doc“, sagte er, ignorierte ihre Frage und öffnete die Tür, während er sie mit dem Messer antrieb, sich in Bewegung zu setzen.
Wie befohlen stieg Tess aus, gefolgt von Ben und den beiden Schlägern, die ihn begleiteten. Sie brachten sie durch den Hintereingang in die Klinik, durch den Lagerraum und die leere Hundezwingerabteilung. Ben stieß sie weiter vorwärts bis in den Empfangsbereich der Klinik. Alles war verwüstet, Karteikästen umgestoßen und auf den Boden entleert, Möbel zerborsten, Chemikalien und Medikamente überall verstreut. Die Zerstörung war vollständig, aber erst als Tess Nora sah, schluchzte sie würgend auf.
Ihre junge Assistentin lag hinter dem Empfangstresen am Boden und hob den Kopf, als Tess hereingebracht wurde. Sie hatten sie an Händen und Füßen mit Telefonkabel gefesselt und ihren Mund mit Mullbinden aus dem Notfallkasten geknebelt. Nora weinte, ihr Gesicht aschfahl, die Augen geschwollen und rot von offensichtlich stundenlanger Tortur. Aber sie lebte noch, und das allein bewahrte Tess davor, sich vollständig aufzugeben.
„Ach, Nora“, sagte sie gebrochen. „Es tut mir so leid. Ich hol dich da raus, ich verspreche es.“
Neben ihr kicherte Ben. „Ich bin so froh, dich das sagen zu hören, Doc. Denn das Schicksal der kleinen Nora hängt jetzt ausschließlich von dir ab.“
„Was? Wie meinst du das?“
„Du wirst uns jetzt helfen, das Flashdrive zu finden, oder du wirst zusehen, wie ich der kleinen Schlampe die Kehle aufschlitze.“
Hinter dem Knebel in ihrem Mund schrie Nora auf. Sie begann wild an ihren Fesseln zu zerren, alles umsonst. Einer von Bens breiten Kumpanen kam herüber und zerrte sie auf die Füße. Er hielt Nora in einem schmerzhaften Griff und zog sie näher heran, bis nur noch ein paar Handbreit die beiden Frauen trennten. Nora bettelte mit den Augen, nackte Panik ließ sie im harten Griff ihres Fängers zittern wie Espenlaub.
„Lass sie gehen, Ben. Bitte.“
„Reich mir das Flashdrive rüber, und ich werde sie gehen lassen, Tess.“
Nora stöhnte, es klang flehentlich, verzweifelt. Tess wusste jetzt, was echte Verzweiflung war, eine knochentiefe Qual, die sich nur noch tiefer in sie bohrte, als sie ihrer Freundin in die Augen sah und begriff, dass Ben und diese anderen Männer es todernst meinten. Sie würden Nora töten – voraussichtlich auch Tess –, wenn sie ihnen nicht gab, was sie haben wollten. Und sie konnte es ihnen nicht geben, weil sie es nicht hatte.
„Ben, bitte. Lass Nora gehen und nimm stattdessen mich. Ich bin es, die das Flashdrive genommen hat, nicht sie. Sie ist überhaupt nicht verwickelt in …“
„Sag mir, wo du das Flashdrive gelassen hast, und ich lasse sie vielleicht gehen. Wie ist das, Doc? Fair genug für dich?“