Sie beobachtete mit flatternden Nerven, wie er um die Tischplatte kam und sich auf Augenhöhe zu ihr herunterbeugte. Seine Finger griffen hart in ihre Haare, als er ihr Gesicht von der kalten Metallplatte hob. Seine Augen waren die eines toten Mannes, der leeren Hülle eines menschlichen Wesens, nicht mehr der Ben Sullivan, den sie einmal gekannt hatte.
„So hätte es nicht kommen müssen“, sagte er in trügerisch höflichem Ton zu ihr. „Du sollst wissen, dass du dir das selbst eingebrockt hast. Sei dankbar, dass ich dich nicht meinem Meister überlasse.“
Er streichelte ihre Wange, seine Berührung war widerwärtig. Als sie zurückzuckte, griff er fester in ihr Haar und zwang sie, ihn anzusehen. Er lehnte sich vor, als ob er sie küssen wollte. Sie spuckte ihm ins Gesicht, wehrte sich mit den Mitteln, die er ihr gelassen hatte.
Tess spannte sich in Erwartung der Vergeltung, als er seine freie Hand hob, um sie zu schlagen. „Du verfluchte Hu…“
Er bekam nicht die Chance, seinen Satz zu beenden oder gar sie zu schlagen. Ein Schwall eiskalter Luft zog durch die plötzlich klaffende Türöffnung herein, einen Moment bevor die massive Gestalt eines Mannes in schwarzer Kleidung mit undurchsichtiger Skibrille den Raum ausfüllte. Schusswaffen und Klingen hingen an seinen Hüften und in den dicken Lederholstern, die sich über seiner muskulösen Brust kreuzten.
Dante.
Tess hätte ihn überall erkannt, auch unter dem Schutz von all dem Schwarz. Hoffnung flammte in ihr auf, zusammen mit Erstaunen. Sie konnte fühlen, wie er sie mit seinem Geist berührte, ihr versicherte, dass er sie heil hier rausbringen würde. Dass sie jetzt nichts mehr zu fürchten hatte.
Im selben Moment fühlte sie seine Wut. Ihr eiskalter Hauch wallte von seinem mächtigen Körper und konzentrierte sich auf Ben. Dante senkte den Kopf, der Fokus seines Blicks auch durch die dunklen Linsen spürbar, die seine Augen beschirmten. Ein Glühen schien durch die schwarzen Gläser – funkelnd klar und tödlich.
Mit der Geschwindigkeit eines Lichtstrahls hob Bens gekrümmter Körper vom Boden ab und flog in die Schränke an der Wand. Er trat und schlug um sich, aber Dante hielt ihn allein mit der Kraft seines Willens in der Höhe. Als ein weiterer schwarz gekleideter Krieger im Flur auftauchte, knurrte Dante ein Kommando.
„Bring sie hier raus, Chase. Ich will nicht, dass sie das sieht.“
Dantes Kamerad kam herüber und schnitt Tess los, nahm sie vorsichtig auf die Arme und trug sie aus der Klinik zu einem Geländewagen, der im Leerlauf hinter dem Gebäude stand.
Sobald Chase Tess aus dem Raum gebracht hatte, löste Dante seinen mentalen Griff. Die Verbindung brach ab, und Sullivan fiel wie ein Stein zu Boden. Er versuchte sich aufzurappeln und das Messer zu fassen, das er auf dem Tisch hatte liegen lassen. Dante ließ die Klinge mit einem harten mentalen Hieb wegfliegen, und die Spitze bohrte sich in die gegenüberliegende Wand.
Er schritt weiter in den Raum hinein. Seine eigenen Waffen ließ er stecken. Zu stark war das Verlangen, Ben Sullivan mit den Händen zu erledigen. Er wollte Vergeltung, und er hatte die Absicht, den Scheißkerl leiden zu lassen für das, was er Tess antun wollte. Und für alles, was er ihr schon angetan hatte.
„Steh auf“, befahl er dem Menschen. „Es endet hier.“
Sullivan kicherte, während er langsam auf die Füße kam. Als Dante seinem Blick begegnete, sah er das stumpfe Glimmen eines Geistsklaven in den Augen des Crimson-Dealers. Ben Sullivan war zu einem Lakaien umgedreht worden. Das erklärte immerhin, warum er zwischenzeitlich verschwunden gewesen war. Ihn zu töten hieß in jedem Fall, ihm einen Gefallen zu tun.
„Wo versteckt sich denn dein Meister dieser Tage, Lakai?“
Sullivan starrte ihn nur an.
„Hat er dir erzählt, wie wir ihm letzten Sommer in den Arsch getreten haben? Dass er mit dem Schwanz zwischen den Beinen weggerannt ist, statt dem Orden Auge in Auge entgegenzutreten? Er ist ein Feigling und ein Angeber, und wir werden ihn niedermachen.“
„Fick dich, Vampir.“
„Nein, ich denke nicht“, erwiderte Dante, der ein Zucken in den Beinmuskeln des Lakaien bemerkt hatte und an dieser vielsagenden Bewegung erkannte, dass Sullivan im Begriff war anzugreifen. „Fick dich selbst, du Stück Lakaienscheiße. Und fick auch den Hurensohn, dem du gehörst.“
Ein schrilles Kreischen kam aus dem Mund des Lakaien, als er sich durch den Raum auf Dante warf. Sullivan schlug und hämmerte auf ihn ein. Seine Fäuste flogen schnell, aber nicht so schnell, dass Dante sie nicht blocken konnte. Im Handgemenge riss Dantes Brustschutz ab und gab ein Stück Haut frei. Mit einem Aufbrüllen versetzte er dem Lakaien einen Schlag ins Gesicht und genoss das Krachen von Knochen und das dumpfe Schmatzen von reißendem Fleisch beim Einschlag.
Ben Sullivan ging der Länge nach zu Boden. „Es gibt nur einen wahren Herren der Rasse“, keuchte er zu Dante auf. „Bald wird er als König herrschen – wie es sein Geburtsrecht ist!“