Nadelspitze Fangzähne, die er vorher schwerlich hätte verbergen können – nicht dass der Junge etwas verbergen wollte, als er dieses Heulen ausstieß, von dem einem das Blut gerann, und sich dann eines der Mädchen neben ihm gegriffen hatte.
Und seine Augen. Du lieber Himmel, sie hatten gelb geglüht, als ob sie in seinem Schädel brannten. Als gehörten sie irgendeiner außerirdischen Kreatur.
Ben wusste, was er da gesehen hatte. Aber es ergab keinen Sinn. Nicht in seiner Realität und nicht nach jeder Wissenschaft, die er kannte. Solche Dinge gehörten eindeutig ins Reich der Fiktion.
Ehrlich gesagt, nach allem, was er für logisch und wahr hielt, war das, was er da eben mit angesehen hatte, schlicht und einfach unmöglich.
Aber mit Logik hatte die Angst, die ihm im Nacken saß, oder die ernüchternde Gewissheit, dass seine harmlosen kleinen Ausflüge in die Pharmakologie plötzlich unwiderruflich entgleist waren, wenig zu tun. Eine Überdosis war schlimm genug. Noch schlimmer war, dass sie in der Öffentlichkeit passiert war, als er noch dabei war und identifiziert werden konnte. Aber die unglaubliche Wirkung, die das Crimson auf diesen Jungen gehabt hatte – diese monströse Verwandlung –, war absolut jenseits von allem, was er als real und greifbar akzeptieren konnte.
Ben drehte den Zündschlüssel um und wartete stumpf, bis der Motor seines Kleinbusses rasselnd zum Stillstand kam. Er musste die Formel seiner Droge überarbeiten. Vielleicht war die aktuelle Lieferung verdorben. Vielleicht hatte er unbeabsichtigt etwas anders gemacht als bisher. Vielleicht hatte der Junge eine allergische Reaktion gehabt.
Klar. Eine allergische Reaktion, die zufällig einen sonst normal aussehenden Mittzwanziger in einen blutrünstigen Vampir verwandelte.
„Gott im Himmel“, flüsterte Ben, als er aus dem Kleinbus stieg, und fiel auf dem Kies in einen nervösen Laufschritt.
Er erreichte das alte Gebäude und fummelte nach dem Schlüssel für das große Vorhängeschloss an der Tür. Mit einem metallischen Klicken und quietschenden Türangeln öffnete sich die Tür, und er betrat sein privates Labor.
Von außen sah das Gebäude verfallen aus, aber wenn man erst einmal drin war und all den Verfall und die geisterhaft verlassenen Maschinen der ehemaligen Papiermühle hinter sich gelassen hatte, war das Labor hochmodern eingerichtet – mit den Mitteln eines reichen anonymen Gönners, der Ben dafür bezahlte, seine pharmakologischen Aktivitäten exklusiv auf die Herstellung des roten Pulvers zu beschränken, das unter dem Namen Crimson im Umlauf war.
Bens Büro lag in einer geräumigen Zelle, die mit drei Meter hohen Stahlgittern gesichert war. Darin befand sich ein glänzender Tisch aus rostfreiem Edelstahl, bedeckt mit einer Ansammlung von Kolben, Brennern, Mörsern und Stößeln sowie einer teuren elektronischen Waage. An der einen Wand standen in zahlenschlossgesicherten Schränken Kanister, die diverse pharmazeutische Wirkstoffe enthielten – Serotoninbeschleuniger, Muskelrelaxanzien und andere Zutaten, nichts davon schwer zu beschaffen für einen ehemaligen Chemiker mit Geschäftskontakten, die ihm noch diverse Gefallen schuldeten.
Er hatte nicht vorgehabt, Drogendealer zu werden. Bis ihn der Kosmetikkonzern entlassen hatte, für den er als Chemieingenieur und Entwickler und Manager von Forschungsprojekten gearbeitet hatte, hätte Ben nicht mal im Traum gedacht, dass er einmal auf der anderen Seite des Gesetzes stehen würde. Aber er hatte eben ständig gegen die grausamen Tierversuche protestiert, die er jahrelang in den Versuchslaboren des Unternehmens mit ansehen musste. Und dafür war er schließlich gefeuert worden. Also war Ben in den Untergrund gegangen und kämpfte dort für die gute Sache.
Angefangen hatte er mit Rettungsaktionen für ausgesetzte und vernachlässigte Tiere. Dann war er dazu übergegangen, sie zu stehlen, wenn sich die offiziellen, legalen Maßnahmen als nicht effizient genug erwiesen. Von da an war es nicht mehr weit zu anderen dubiosen Aktivitäten, und die Herstellung von Clubdrogen war ein relativ einfaches und risikoarmes Geschäft. Was, dachte er, war schließlich kriminell daran, seine doch recht harmlosen Freizeitdrogen an erwachsene Menschen zu verkaufen, die sie unbedingt haben wollten?
Seine Rettungsaktionen brauchten finanzielle Unterstützung, und er hatte der Clubszene mit ihren Pillen fressenden Ravern etwas anzubieten, das seinen Preis wert war – etwas, das sie sich sowieso irgendwo besorgen würden. Also warum nicht von ihm?
Leider sah Tess das ganz anders. Als sie herausfand, was er tat, hatte sie sofort Schluss mit ihm gemacht. Ben hatte ihr hoch und heilig geschworen, mit dem Dealen aufzuhören – nur für sie –, und das hatte er wirklich. So lange, bis sein aktueller Geldgeber letzten Sommer mit einem dicken Bündel Geldscheine bei ihm aufgetaucht war.