Tess dachte an ihr eigenes Leben, ihre Vergangenheit, die sie verdammte und die sie schon so lange verfolgte. Sie hatte versucht, vor ihr wegzulaufen, aber deshalb war sie trotzdem immer da. Sie überschattete jede Entscheidung, die sie traf, und erinnerte sie an den Fluch, der ihr nie erlauben würde, wirklich zu leben. Sogar jetzt – und in letzter Zeit immer öfter – fragte sie sich, ob es nicht wieder an der Zeit war weiterzuziehen, einen neuen Anfang zu machen.
„Was denkst du, Tess? Wovor läufst du davon?“
Sie antwortete nicht, hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, ihre Geheimnisse für sich zu behalten, und ihrer Sehnsucht, sich jemandem mitzuteilen. Jemandem, der vielleicht verstehen konnte, wie ihr Leben in diese verfahrene Situation gekommen war. Der ihr vielleicht sogar Absolution erteilen konnte.
„Ist schon gut“, sagte Dante sanft, „du musst es mir jetzt nicht sagen. Komm, gehen wir eine Bank suchen, damit du deinen Zucker und dein Koffein im Sitzen genießen kannst. Von mir soll niemand behaupten können, dass ich einer Frau ihre liebsten Laster vorenthalte.“
Dante sah Tess dabei zu, wie sie ihren dicken, karamellgetränkten Brownie verputzte. Er konnte spüren, wie ihr Genuss in den kleinen Raum abstrahlte, der sie auf der Bank am Flussufer voneinander trennte. Sie hatte ihm einen Bissen angeboten, und obwohl seine Spezies von den primitiven menschlichen Nahrungsmitteln nicht mehr als nur ein paar Happen vertrug, nahm er einen kleinen Bissen des klebrigen Schokoladenkuchens, um zumindest an Tess’ hemmungslosem Genuss teilzuhaben. Er schluckte das schwere, eigentlich eher widerwärtige teigige Gebäck mit einem gezwungenen Lächeln.
„Gut, nicht?“ Tess leckte sich die schokoladenverschmierten Finger, schob einen nach dem anderen in den Mund und leckte ihn sauber ab.
„Lecker“, sagte Dante, der sie mit seiner Art von Hunger betrachtete.
„Du kannst noch mehr haben, wenn du möchtest.“
„Nein.“ Er zog sich zurück und schüttelte den Kopf. „Nein, das ist ganz deiner. Bitte. Genieß ihn.“
Sie aß den Brownie auf und trank dann den Rest ihres Cappuccinos. Als sie aufstand, um die leere Papiertüte und den Pappbecher in einen der Mülleimer im Park zu werfen, wurde sie plötzlich vom Anblick eines älteren Mannes abgelenkt, der zwei kleine, braune Hunde auf dem Flussweg spazieren führte. Tess sagte etwas zu dem alten Mann, dann ging sie in die Hocke und ließ die begeistert wedelnden Hunde an sich schnuppern.
Dante sah sie lachen, als die kleinen Geschöpfe sich abwechselnd für sie auf dem Boden rollten und an ihr hinaufsprangen. Ihre ständige Wachsamkeit, gegen die er anscheinend nichts ausrichten konnte, war völlig verschwunden. Ein paar kurze Minuten lang sah er, wie Tess ohne Angst und ohne Misstrauen wirklich war.
Sie war einfach wundervoll, und Dante fühlte einen starken eifersüchtigen Stich, als er die beiden kleinen Kläffer ansah, die sich ihrer ungehemmten, unverstellten Zuneigung erfreuen durften.
Er schlenderte hinüber und nickte dem alten Mann grüßend zu, als er und seine Hunde sich daran machten weiterzugehen. Tess, immer noch strahlend, stand auf und sah den beiden Tieren hinterher, wie sie mit ihrem Herrchen davontrippelten.
„Du kannst gut mit Tieren.“
„Das ist mein Beruf“, sagte sie, als müsste sie sich für ihr Entzücken rechtfertigen.
„Du bist gut. Das sieht man.“
„Ich helfe Tieren gerne. Ich schätze, es gibt mir das Gefühl, irgendwie … zu etwas nütze zu sein.“
„Vielleicht könntest du mir mal zeigen, wie du arbeitest.“
Tess legte den Kopf schräg. „Hast du ein Haustier?“
Dante hätte verneinen sollen, aber er sah sie immer noch mit diesen lächerlichen beiden Pelzknäueln vor sich und wünschte sich, ihr eine ähnliche Freude machen zu können. „Ich habe einen Hund. So einen wie diese eben.“
„Wirklich? Wie heißt er denn?“
Dante räusperte sich, während er darüber nachdachte, wie er eine nutzlose Kreatur nennen würde, deren Überleben von ihm abhängig war. „Harvard“, knurrte er, die Mundwinkel gekräuselt von seinem privaten Insiderwitz. „Er heißt Harvard.“
„Ich würde ihn gerne mal kennenlernen, Dante.“ Eine kalte Brise kam auf, Tess fröstelte und rieb sich die Arme. „Es ist schon spät. Ich sollte mich jetzt wohl auf den Heimweg machen.“
„Ja, klar“, nickte Dante und schalt sich innerlich. Ein Haustier erfinden, du lieber Himmel. Nur weil er damit vielleicht bei Tess Punkte sammeln konnte. Andererseits konnte es auch ein bequemes Mittel sein, um mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Um herauszufinden, was genau sie über Crimson und die Dealeraktivitäten ihres Exfreundes wusste.
„Es war nett, mit dir spazieren zu gehen.“
„Das finde ich auch.“
Tess sah wehmütig auf ihre Füße herunter.
„Was ist?“
„Nichts. Es ist nur, dass … ich habe einfach nicht erwartet, dass heute Abend noch etwas Schönes passiert. Es ist nicht gerade einer meiner liebsten Tage im Jahr.“
„Warum nicht?“
Sie sah auf und zuckte vage die Achseln. „Ich habe Geburtstag.“
Er lachte leise. „Ist das denn so schlimm?“