„Normalerweise feiere ich ihn nicht. Sagen wir mal, ich komme aus einer recht schwierigen Familie. Es ist nicht der Rede wert.“
Es war der Rede wert. Dante brauchte keine vollständige Blutsverbindung mit Tess, um sofort zu verstehen, dass Tess noch immer an einer sehr alten Wunde litt. Er wollte alles über ihren Schmerz und seine Ursache wissen. Bei dem Gedanken, dass sie unglücklich war, flammten seine Beschützerinstinkte auf. Aber sie ging schon von ihm fort und auf den Verbindungspfad zu, der sie zurück auf die Straße und zu ihrem Wohnviertel bringen würde. Er griff nach ihrer Hand, um ihren Rückzug aufzuhalten. Er wollte sie in seine Arme ziehen und sie festhalten.
„Du solltest jeden Tag feiern, Tess. Besonders diesen. Ich bin froh, dass ich einen Teil davon mit dir verbringen durfte.“
Sie lächelte – ein wirkliches Lächeln, ihre Augen glänzten im weichen Schein der Parklampen, ihr sinnlicher Mund zog sich in einen wunderschönen, sanften Bogen. Dante konnte seinem Impuls, sie nahe an sich zu spüren, nicht widerstehen. Er umschloss ihre Finger fester mit seinen und zog sie zärtlich an sich.
Er sah hinab in ihr bezauberndes Gesicht, verging fast vor Sehnsucht nach ihr. „Kein Geburtstag ist vollständig ohne einen Kuss.“
Schlagartig veränderte sich Tess’ Gesichtsausdruck, als fiele vor ihm eine Tür ins Schloss. Sie erstarrte und machte sich von ihm los. „Ich mag keine Geburtstagsküsse“, stieß sie hervor. „Ich denke, für heute ist es genug, Dante.“
„Tess, es tut mir leid …“
„Ich muss los.“ Sie betrat den Weg. Dann wandte sie sich plötzlich ab und lief schnell davon, ließ ihn allein im Park stehen und sich fragen, was um Himmels willen eigentlich gerade geschehen war.
Chase fuhr aus dem Anwesen des Ordens davon, kribbelig vor Frustration. Denn heute Nacht würde er nicht auf Patrouille gehen. Alle Krieger waren auf Einzelmissionen verschwunden, und nun hatte Chase allein mehrere Stunden Dunkelheit totzuschlagen.
Der Tod von Camdens Freund letzte Nacht machte ihm immer noch zu schaffen und verdeutlichte ihm, dass die Uhr schnell tickte – wenn er denn überhaupt eine Chance hatte, seinen Neffen lebendig nach Hause zu bringen. Chase fuhr an einigen der Clubs vorbei, zu denen Dante ihn bei ihren Streifzügen durch die Innenstadt mitgenommen hatte, sowohl den einschlägigen als auch den weniger bekannten Orten, wo Menschen und Vampire zusammenkamen.
Er suchte die Straßen und Hafenanlagen nach Camden ab, forschte nach einer Spur von ihm oder seinen Freunden. Mehrere Stunden vergingen, ohne dass er etwas entdeckt hätte.
Chase stand gerade irgendwo in Chinatown und war schon dabei, sich auf den Rückzug zum Dunklen Hafen zu machen, als er sah, wie vor ihm auf der Straße zwei junge Stammesvampire mit ein paar Mädchen die Tür einer namenlosen Lokalität öffneten und hineingingen. Sofort stellte er den Motor des Lexus ab und stieg aus dem Wagen. Als er sich dem Gebäude näherte, in dem die Gruppe verschwunden war, hörte er laute Technomusik, die offenbar aus einem unterirdisch gelegenen Raum heraufdrang. Er öffnete die Tür und schlüpfte hinein.
Unten, am Ende einer langen, schwach erleuchteten Treppe, war wieder eine Tür, vor der ein Rausschmeißer – ein Mensch – postiert war, aber Chase kam problemlos an dem Muskelprotz in Gruftiemontur vorbei, indem er ihm kurzerhand einen Hundertdollarschein in die Hand drückte.
Tiefe, wummernde Bässe dröhnten in seinem Kopf, als er den überfüllten Club betrat. Zuckende Körper, wohin er auch blickte, die Tanzenden hatten in einer gigantischen pulsierenden Masse den gesamten Raum in Beschlag genommen. Er ließ seinen Blick über die dichte Menge schweifen und arbeitete sich langsam vor, die rhythmischen blauen und roten Lichtblitze brannten ihm in den Augen.
Er prallte mit einer betrunkenen jungen Frau zusammen, die mit einigen Freundinnen getanzt hatte. Chase murmelte eine Entschuldigung, die sie vermutlich im Lärm gar nicht hören konnte. Als er sie festhielt, damit sie nicht hinfiel, bemerkte er zu spät, dass er seine Hände ausgerechnet auf ihren festen, runden Arsch gelegt hatte.
Sie lächelte ihn einladend an und leckte sich die Lippen, rosa gefärbt von einem roten Stiellutscher, den sie im Mund hatte. Jetzt tanzte sie näher an ihn heran und begann sich an ihm zu reiben – und ihre Bewegungen waren eindeutig sexuell.
Chase starrte auf ihren Mund, dann auf die schlanke, weiße Säule ihres Halses.
In seinen Venen begann es zu summen, ein Fieber überkam ihn.
Er sollte gehen. Wenn Camden irgendwo hier drin war, waren die Chancen gering, ihn in der Menge zu finden. Zu viele Menschen, zu laut.
Die Frau wand ihre Hände um seine Schultern und rieb sich an ihm, sodass sich ihre Schenkel berührten. Ihr Rock war lächerlich kurz, so kurz, dass er, als sie sich umdrehte und ihren Arsch an seinen Schritt presste, sah, dass sie überhaupt nichts darunter trug.
Er musste hier raus …