In seinem privaten Labor am anderen Ende der Stadt hatte Ben Sullivan sich dafür entschieden, einige Veränderungen an seiner Crimson-Rezeptur vorzunehmen. Von Anfang an hatte er die Formel nie im Labor aufbewahrt, sondern es für eine kluge Sicherheitsmaßnahme gehalten, sie immer bei sich zu tragen – statt sie hier rumliegen zu lassen, wo die Kumpane seines Chefs oder wer auch immer sie mit Leichtigkeit finden konnten. Er war sowieso schon paranoid geworden, dass er bei seinem lukrativen kleinen Nebenverdienst übervorteilt werden könnte. Und nachdem er früher am Abend seinen Wohltäter angerufen hatte, kam es ihm so vor, als sei seine Paranoia vielleicht doch nicht ganz unbegründet.
Er hatte einen vollständigen Bericht über die Vorkommnisse der letzten Nacht abgegeben, bis zu dem Punkt, wo ihn die beiden Kerle, die ihn aus dem Club verjagt hatten, beinahe erwischt hätten – und er hatte seine unglaubliche Vermutung geäußert, dass Crimson wohl gefährliche – um nicht zu sagen vampirische – Nebenwirkungen auf einen seiner besten Kunden gehabt hatte.
Sein Chef hatte diese Neuigkeiten mit seiner üblichen, reaktionslosen Ruhe entgegengenommen. Ben war angeraten worden, die Details niemandem mitzuteilen. Für den nächsten Abend bei Sonnenuntergang war ein Treffen mit seinem Arbeitgeber einberaumt. Nach all den Monaten der Geheimnistuerei und Anonymität würde er den Kerl nun endlich persönlich zu Gesicht bekommen.
Da das Treffen schon in weniger als fünfzehn Stunden stattfinden sollte, hielt Ben es für klüger, sich so gut wie möglich abzusichern für den Fall, dass er Handlungsspielraum brauchte, wenn er ging, um den Boss zu treffen. Schließlich wusste er nicht genau, mit wem er es zu tun hatte, und er war nicht dumm genug, um nicht zu wissen, dass dieser Typ vermutlich über sehr enge Kontakte zur Unterwelt verfügte. Wenn ein naiver Mittelklasse-Junge aus Southie dachte, er könnte bei den schweren Jungs mitspielen, trieb er hinterher meist als Wasserleiche im Mystic River.
Ben lud sich beide Formeln – die Originalformel und seine neue, verbesserte Version, die er für seine Absicherung hielt – von seinem Computer auf einen Flashdrive und zog ihn heraus. Dann löschte er alle Dateien auf seiner Festplatte und verließ das Labor. Auf kleinen Nebenstraßen fuhr er in die Innenstadt zurück, nur für den Fall, dass ihm jemand folgte, und kam schließlich unweit von Tess’ Wohnung im North End heraus.
Sie würde sich wundern, wenn sie wüsste, wie oft er dort vorbeifuhr, nur um zu sehen, ob sie zu Hause war. Sie wäre mehr als überrascht, das musste er zugeben. Ausflippen würde sie, wenn sie wüsste, wie besessen er wirklich von ihr war. Er hasste es, dass er nicht von ihr ablassen konnte. Aber die Tatsache, dass sie ihn immer auf Armeslänge auf Abstand hielt, besonders seit sie Schluss gemacht hatten, hatte nur den Effekt, dass er sie noch mehr begehrte. Immer noch wartete er darauf, dass sie ihre Meinung änderte und ihn wieder an sich heranließ, aber seit sie neulich vor seinem Kuss zurückgewichen war, war ein Teil dieser Hoffnung geschwunden.
Ben steuerte seinen Kleinbus um eine Ecke und fuhr dann Tess’ Straße hinauf. Vielleicht war es heute das letzte Mal, dass er das tat. Das letzte Mal, dass er sich demütigen ließ, als wäre er nur ein lächerlicher Spanner.
Ja, dachte er und bremste an einer roten Ampel, vielleicht war es für ihn nun wirklich an der Zeit, sich von ihr zu lösen, sich etwas Neuem zuzuwenden. Verdammt noch mal, etwas aus seinem Leben zu machen.
Während sein Kleinbus warten musste, sah Ben, wie vor ihm ein schnittiger schwarzer Porsche aus einer Seitenstraße herauskam und sich rechts hielt, um dann über die fast leere Straße auf den Wohnblock zuzufahren, in dem Tess wohnte. Als er einen Blick auf den Fahrer werfen konnte, zog sich ihm der Magen zusammen. Es war der Kerl aus dem Club – nicht der, der ihn verfolgt hatte, sondern der andere, der große, dunkle mit der tödlichen Ausstrahlung.
Und er wollte verdammt sein, wenn er nicht erkannte, wer da neben ihm auf dem Beifahrersitz saß.
Gott im Himmel. Was hatte sie mit diesem Kerl zu tun? Hatte er sie über seine, Bens, Aktivitäten verhört, überprüfte er etwa seine Freunde und Bekannten?
Wie Säure stieg ihm die Panik in der Kehle auf. Aber dann wurde Ben klar, dass es jetzt, um fast drei Uhr morgens, für ein Verhör durch Polizei oder Drogenfahndung ein wenig zu spät war. Nein, was immer der Typ Tess andrehen wollte, er tat es nicht auf einer offiziellen Ebene.
Ungeduldig trommelte Ben mit den Fingern auf dem Lenkrad, die Ampel vor ihm war rot, sie wollte und wollte nicht umschalten. Er hatte keine Angst, den Porsche aus den Augen zu verlieren – wo der hinwollte, wusste er. Aber er wollte es mit eigenen Augen sehen. Er