Читаем 0701759001361827618 adrian lara - midnight breed 02 полностью

Seine Enttäuschung wäre grenzenlos. Vermutlich würde er sie gar ein wenig hassen. Oder sogar sehr, wenn er erfuhr, dass sie es war, die ihren Sohn in die Nacht hinaus getrieben hatte. Hätte sie nicht mit Camden gestritten, hätte sie nicht diesen lächerlichen Versuch unternommen, ihn zu kontrollieren, dann wäre er vielleicht nicht gegangen. Daran war allein sie schuld, und sie wünschte sich verzweifelt, diese schrecklichen Stunden für immer ungeschehen machen zu können.

In ihrer Kehle saß der bittere Geschmack der Reue, als sie zu dieser anderen Welt hinaussah, die außerhalb ihrer Reichweite lag. Hier, in ihrem warmen, trockenen Zuhause, fühlte sie sich so hilflos, so nutzlos.

Unter ihrer geräumigen Wohnung im Dunklen Hafen von Black Bay lagen Sterlings Privatquartier und sein unterirdischer Schutzraum. Er war ein Stammesvampir und darum gezwungen, sich wie alle anderen Mitglieder seiner Spezies fernab des Tageslichtes in Innenräumen und unter der Erde aufzuhalten, wenn auch nur ansatzweise die Sonne am Himmel war. Das galt auch für Camden, denn obwohl er von ihrer Seite aus halb menschlich war, floss das Vampirblut seines verstorbenen Vaters in ihm. Die übermenschlichen Stärken seines Vaters und auch seine Schwächen.

Vor Einbruch der Dunkelheit würde die Suche nach Cam nicht weitergehen. Und Elise erschien die Zeit des untätigen Wartens wie eine Ewigkeit.

Sie begann vor dem Fenster auf und ab zu gehen und wünschte sich, irgendetwas tun zu können, um Sterling bei seiner Suche nach Cam und den anderen Jungen aus den Dunklen Häfen, die ebenfalls verschwunden waren, zu helfen.

Selbst als Stammesgefährtin, eine der seltenen weiblichen Angehörigen der menschlichen Rasse, die in der Lage waren, sich mit Vampiren zu paaren und Nachkommen zu gebären – die dann ausnahmslos männlichen Geschlechts waren –, war Elise doch immer noch Homo sapiens, ein ganz normaler Mensch. Ihre Haut vertrug Sonnenlicht problemlos. Sie konnte sich unerkannt unter anderen Menschen bewegen, obwohl es schon so lange Jahre her war – um genau zu sein, über ein Jahrhundert –, dass sie es zum letzten Mal getan hatte.

Sie war ein Mündel der Dunklen Häfen, seit sie ein kleines Mädchen war. Man hatte sie um ihrer Sicherheit willen dorthin gebracht, als im neunzehnten Jahrhundert die Armut ihre Eltern zwang, in einen der Bostoner Slums zu ziehen. Sobald sie großjährig wurde, war sie die Gefährtin ihres über alles geliebten Quentin Chase geworden. Wie sehr sie ihn vermisste. Er war erst vor fünf Jahren aus ihrem Leben gegangen.

Und nun hatte sie vielleicht auch Camden verloren …

Nein. Sie weigerte sich, diesen Gedanken zuzulassen. Der Schmerz war zu groß, um dies auch nur eine einzige Sekunde lang in Betracht zu ziehen.

Vielleicht gab es ja doch etwas, das sie tun konnte. Elise blieb an ihrem regengepeitschten Fenster stehen. Von ihrem Atem beschlug die Scheibe, als sie hinaussah. Wo nur, wo war ihr Sohn?

Mit einem plötzlichen Anflug von Entschlossenheit drehte sie sich um und ging zu ihrem begehbaren Wandschrank, um ihren Mantel zu holen, der dort unberührt die letzten Winter verbracht hatte. Der lange marineblaue Wollmantel bedeckte ihre weiße Witwenkleidung, er fiel ihr bis auf die Knöchel hinab. Elise schlüpfte in ein Paar helle Lederstiefeletten und verließ schnell ihre Wohnung, ehe die Angst vor der eigenen Kühnheit sie vielleicht doch noch von ihrem Vorhaben abhielt.

Mit schnellen Schritten lief sie die Treppe zum Haupteingang im Erdgeschoss hinunter. Sie schaffte es erst nach mehreren Anläufen, den Sicherheitscode einzugeben, der die Türblockierung freigab, denn sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie das Gelände des Dunklen Hafens zum letzten Mal verlassen hatte. Die Außenwelt hatte für sie lange Zeit einfach nur Schmerz bedeutet, aber vielleicht konnte sie diesen Schmerz nun ertragen.

Für Camden konnte sie alles ertragen. Oder etwa nicht?

Als sie die schweren Türflügel aufdrückte, blies ihr ein Schwall kalter, frischer Luft eisige Graupelkörner entgegen, die ihr auf den Wangen brannten. Elise wappnete sich innerlich, dann trat sie hinaus ins Freie, ging die Treppe aus Klinkersteinen mit dem schmiedeeisernen Geländer hinunter. Unten auf dem Gehsteig floss ein dünner Strom von Passanten vorbei, einige Schutz suchend aneinandergeschmiegt, andere allein unter eilig wippenden dunklen Regenschirmen.

Einen Moment lang – den winzigen Bruchteil einer Sekunde – herrschte Stille. Aber dann setzte ihre besondere Fähigkeit ein, die immer ihr Fluch gewesen war – eine außergewöhnliche Gabe, wie sie jede Stammesgefährtin in unterschiedlichster Ausprägung besaß –, und brach mit ganzer Gewalt über sie herein.

ich hätte ihm erzählen sollen, dass ich schwanger bin –

– ist ja wohl nicht so, dass sie mickrige zwanzig Mäuse vermissen werden –

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