Читаем 0701759001361827618 adrian lara - midnight breed 02 полностью

Sie schluckte schwer und nickte an seiner nackten Brust. „Als es anfing – fast ein ganzes Jahr lang –, war er vorsichtig. Er umarmte mich eine Spur zu innig und zu lange und sah mich auf eine Art an, die mir unangenehm war. Er versuchte mich mit Geschenken und Partys für meine Freunde im Haus am See für sich zu gewinnen, aber ich war nicht gern zu Hause, und sobald ich sechzehn war, hab ich die meiste Zeit woanders verbracht. Ich habe bei Freunden übernachtet, war den Sommer über in einem Camp, alles nur, um weg zu sein. Aber schließlich musste ich wieder nach Hause. Die Sache eskalierte in den Monaten vor meinem siebzehnten Geburtstag. Er wurde mir und meiner Mutter gegenüber gewalttätig, schubste uns herum, sagte schreckliche Dinge zu uns. Und dann, eines Nachts …“

Tess’ Mut schwand. Ihr Kopf schwamm in dem erinnerten Lärm von Flüchen und wilden Schimpftiraden; dem plumpen Getöse betrunkenen Stolperns; dem splitternden Krachen von zerbrechendem Glas. Und sie konnte noch immer das leichte Knarren ihrer Schlafzimmertür hören wie in jener Nacht, in der ihr Stiefvater sie aus ihrem unruhigen Schlaf weckte, sein Atem stinkend nach Schnaps und Zigarettenqualm.

Seine fleischige Hand war salzig und verschwitzt, als er sie ihr auf den Mund presste, um sie am Schreien zu hindern.

„Es war mein Geburtstag“, flüsterte sie benommen. „Er kam gegen Mitternacht in mein Zimmer und sagte, er wolle mir einen Geburtstagskuss geben.“

„Dieses widerwärtige Schwein.“ Dantes Stimme war ein bösartiges Knurren, aber seine Finger waren sanft, als er durch ihr Haar strich. „Tess … meine Güte. Diese eine Nacht am Fluss, als ich versucht habe …“

„Nein. Das war nicht das Gleiche. Es hat mich daran erinnert, ja, aber es war auf keinen Fall das Gleiche.“

„Es tut mir so leid. Alles. Besonders, was du durchgemacht hast.“

„Lass“, sagte sie, nicht willens, sein Mitleid anzunehmen, ehe sie nicht zum schlimmsten Teil gekommen war. „Als mein Stiefvater in mein Zimmer kam, legte er sich zu mir ins Bett. Ich habe mit ihm gekämpft, ihn getreten, geschlagen, aber er war viel stärker als ich und drückte mich mit seinem Gewicht nieder. Irgendwann während des Kampfes hörte ich, wie er scharf Atem holte. Dann würgte und röchelte er plötzlich, als hätte er Schmerzen. Er hörte auf, mich festzuhalten, und schließlich schaffte ich es, ihn von mir herunterzustoßen. Er ließ los, weil er einen Herzanfall hatte. Er lief dunkelrot an, dann blau – er starb direkt dort auf dem Fußboden meines Schlafzimmers.“

Dante sagte nichts, und ein langes Schweigen folgte.

Vielleicht wusste er, wo ihr Bekenntnis hinführen würde. Aber sie konnte jetzt nicht aufhören. Tess stieß einen tiefen Atemzug aus, sie näherte sich dem Punkt, an dem es kein Zurück gab. „Ungefähr zu diesem Zeitpunkt kam meine Mutter rein. Wie immer betrunken. Sie sah ihn und flippte aus. Sie raste vor Wut – vor Wut auf mich. Sie brüllte mich an, ich sollte ihm helfen, ihn nicht sterben lassen.“

„Sie wusste, was du mit deiner Berührung ausrichten konntest?“, hakte Dante sanft nach, um ihr zu helfen.

„Sie wusste es. Sie wusste es aus erster Hand, weil ich ihre Quetschungen und ihre gebrochenen Knochen geheilt hatte. Sie war dermaßen wütend auf mich, dass sie mir die Schuld an seinem Herzanfall gab. Ich glaube, sie machte mich für alles verantwortlich.“

„Tess“, murmelte Dante. „Sie hatte nicht das Recht, dir für irgendetwas die Schuld zu geben. Das weißt du doch, oder?“

„Jetzt schon. Ich weiß. Aber damals war ich dermaßen verängstigt; ich wollte nicht, dass sie unglücklich war. Also half ich ihm, wie sie es verlangt hatte. Ich reanimierte sein Herz und entfernte die Pfropfen in seinen Arterien. Er wusste nicht, was mit ihm geschehen war, und wir haben es ihm nicht erzählt. Erst drei Tage später fand ich heraus, was für einen furchtbaren Fehler ich begangen hatte.“

Tess schloss die Augen, zurückversetzt in jene Zeit, als sie zu dem Werkzeugschrank ihres Stiefvaters ging, um für ihre Skulptur anlässlich eines Schulprojekts ein Kittmesser zu holen. Sie nahm die Trittleiter und stieg hinauf, um in der obersten Lade nach dem Werkzeug zu suchen. Sie sah die kleine Holzkiste erst, als sie mit dem Ellenbogen dagegenstieß und die Schachtel zu Boden fiel.

Fotos fielen heraus, Dutzende von Fotos. Polaroidaufnahmen von Kindern unterschiedlichen Alters, spärlich bekleidet oder nackt. Einige von ihnen wurden vom Fotografen während der Aufnahmen angefasst. Sie hätte diese widerlichen Hände überall wiedererkannt.

Tess schauderte in Dantes Armen, erschüttert bis ins Mark.

„Ich war nicht das einzige Opfer meines Stiefvaters. Ich fand heraus, dass er jahrelang Kinder in übelster Weise missbraucht hatte, vielleicht jahrzehntelang. Er war ein Monster, und ich hatte ihm zu einer zweiten Chance verholfen, weitere Kinder zu missbrauchen.“

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