Chase wusste, dass er mit seiner Mission jetzt allein stand. Es würde einiges auszustehen geben mit Dante und den anderen, aber das ließ sich nun nicht ändern. Er steckte zu tief in diesem persönlichen Kreuzzug, um sich groß um die Folgen für ihn selbst zu scheren. Er hatte bereits seine Stellung in der Agentur verwirkt, für die er so hart gearbeitet hatte. Heute Nacht hatte er zudem einen Teil seiner Ehre verloren. Er würde alles drangeben, um diese Mission durchzustehen.
Er knipste das Licht im Badezimmer an, und der Spiegel lieferte ihm ein krasses, ungeschöntes Bildnis von sich selbst. Er war blutbespritzt und schwitzte, seine Augen glühten wie bernsteinfarbene Lava, die Pupillen zu Schlitzen verengt von verbliebener Wut und dem Durst nach Nahrung. Die Dermaglyphen auf seiner Brust und seinen Schultern pulsierten in Schattierungen von fahlem Scharlachrot und verblichenem Gold, was anzeigte, dass er dringend Blut benötigte. Die kleine Kostprobe, die er zu sich genommen hatte, als er in Sullivans Hals biss, hatte nicht geholfen. Der bittere Kupfergeschmack, der ihm noch immer im Mund hing, trieb ihn nur dazu, ihn mit etwas Süßerem auszulöschen.
Etwas so Köstlichem wie Arnika oder Rosen … Er nahm wahr, dass sich der Duft des Blutes, nach dem er sich sehnte, seiner Wohnung näherte. Wütend stierte er die wilde Kreatur an, die aus dem Spiegel zurückstarrte.
Das zögerliche Klopfen an der Tür traf seinen Körper wie ein Kanonenschuss.
„Sterling? Bist du zurück?“
Er antwortete nicht. Tatsächlich konnte er es nicht. Seine Zunge klebte am Gaumen fest, und sein Kiefer rieb und mahlte schmerzhaft hinter den bleichen, aufgeworfenen Lippen. Er musste seinen Geist mit aller Macht an die Kandare nehmen, um nicht mit der Kraft seines Willens die Tür aufzureißen.
Wenn er sie jetzt hereinließ, so aufgelöst wie er war, dann konnte nichts ihn davon abhalten, sie in seine Arme zu ziehen und den doppelten Hunger zu stillen, der in ihm tobte und brannte. In Sekundenschnelle wäre er an ihrer Arterie, und wenig später würde er in sie eindringen und sich vollends ins Elend stürzen.
Er würde sich nur beweisen, wie tief er im Laufe einer einzigen Nacht sinken konnte.
Stattdessen richtete er seine mentale Kraft darauf, das Licht im Bad zu löschen und den Raum in eine behaglichere Dunkelheit zu tauchen. Dann wartete er die Ewigkeit lang, die solche Momente stummen Nicht-Antwortens zu dauern scheinen. Seine Augen brannten wie Zunder. Seine Fangzähne fuhren noch weiter aus seinem Zahnfleisch heraus, ein Echo seiner schmerzhaften Erregung.
„Sterling … bist du zu Hause?“, rief sie erneut. Seine Ohren waren so abgestimmt auf ihre Frequenzen, dass er ihren leisen Seufzer durch die ganze Länge seines Apartments und durch die massiven Türblätter hindurch hörte. Er kannte sie gut genug, um sich ihr leichtes Stirnrunzeln vorstellen zu können, als sie in die Wohnung hineinlauschte und schließlich entschied, dass er wohl doch nicht da sei.
Chase stand mucksmäuschenstill und wartete darauf, dass sich ihre Schritte entfernten. Erst als sie gegangen und ihr Duft verflogen war, ließ er seinen unterdrückten und angestauten Atem entweichen. Dabei entrang sich seiner Kehle ein tiefes, elendes Heulen, das den dunklen Spiegel vor ihm in Schwingungen versetzte.
Chase ließ sich gehen. Er fokussierte seine Frustration – seine ganze höllische Qual – auf die polierte, vibrierende Glasscheibe, bis der Spiegel zerbrach und in tausend rasiermesserscharfen Splittern zu Boden stürzte.
Dante streichelte die weiche Haut von Tess’ nackter Schulter, während sie schlief. Er lag mit ihr im Bett, in Löffelstellung am Rücken ihres nackten Körpers, und lauschte ihren Atemzügen. Im Zimmer war es still und dunkel und so friedlich wie nach einem überstandenen Sturm.
Die anhaltende Ruhe war fremdartig, das Gefühl von Behaglichkeit und zufriedenem Wohlsein etwas völlig Ungewohntes für ihn.
Ungewohnt … aber schön.
Dantes Lust rührte sich, als er sie in seinen Armen hielt, aber er hatte nicht die Absicht, ihren Schlaf zu stören. Nachdem er sie ins Bett gebracht hatte, liebten sie sich zärtlich, dabei überließ er ihr die Kontrolle und den Rhythmus, damit sie sich von ihm nahm, was sie brauchte. Jetzt jedoch, obwohl schon wieder erregt, wollte er nur, dass sie es gemütlich hatte. Nur bei ihr sein, solange die Nacht dauerte.
Eine schockierende Offenbarung für einen Mann, der es nicht gewohnt war, sich jemals Vergnügungen vorzuenthalten.
Andererseits waren schockierende Offenbarungen in dieser Nacht praktisch an der Tagesordnung gewesen.