Tess schnaubte spöttisch. „Ich schätze, das beantwortet bereits eine meiner Fragen. Wir sprechen von Ben, richtig? War er der Drogendealer, den du gestern Abend gejagt hast?“
Es entstand eine kleine Pause. Dann fragte er: „Tess, hast du ihn heute gesehen? Hast du ihn gesehen, seit wir letzte Nacht zusammen waren?“
„Nein, Dante“, sagte sie. „Ich habe ihn nicht gesehen.“
„Aber du hast mit ihm gesprochen. Wann?“
„Er hat in der Nacht angerufen und eine Nachricht hinterlassen, wohl während wir …“ Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht daran denken, wie wundervoll es sich angefühlt hatte, in ihrem Bett in seinen Armen zu liegen; wie beschützt und friedlich sie sich gefühlt hatte. Jetzt war alles, was sie fühlte, eine durchdringende Verlassenheit. „War das der Grund, dass du bei mir aufgekreuzt bist? Weil du über mich an ihn herankommen wolltest?“
„Um Himmels willen, nein. Es ist weit komplizierter …“
„Wie kompliziert? Hast du die ganze Zeit mit mir gespielt? Oder hat das Spiel erst in der Nacht begonnen, als du hier mit deinem Hund ankamst und wir … oh mein Gott, jetzt ergibt sogar das einen Sinn. Harvard ist überhaupt nicht dein Hund, oder? Was hast du gemacht? Hast du einen Streuner von der Straße aufgelesen, um ihn als Köder zu benutzen, damit du mich in dein krankes Spiel mit reinziehen kannst?“
„Tess, bitte. Ich wollte dir erklären …“
„Na los. Ich höre.“
„Nicht so“, knurrte er. „Ich will das nicht am Telefon besprechen.“ Sie spürte, wie auch bei ihm eine finstere Spannung wuchs. Beinahe konnte sie ihn am anderen Ende der Leitung hin und her tigern sehen, erfüllt von rastloser Energie, seine schwarzen Augenbrauen finster zusammengezogen, während seine kräftige Hand wie ein Rechen über seine Kopfhaut harkte. „Hör zu, du musst von Sullivan wegbleiben. Er ist in etwas extrem Gefährliches verwickelt. Ich will dich nicht in seiner Nähe haben, verstehst du?“
„Das ist originell. Er hat das Gleiche über dich gesagt. Er hat ziemlich viel gesagt. Verrückte Dinge, zum Beispiel, dass dein Partner heute Nacht brutal über ihn hergefallen ist.“
„Was?“
„Dante, er sagte, der Mann hat ihn gebissen. Kannst du mir das erklären? Er sagte, nachdem ihr beide in seine Wohnung eingedrungen seid, hat der Mann, mit dem du unterwegs warst, ihn in einem Wagen entführt und ist dann wie ein Wilder über ihn hergefallen. Nach dem, was Ben erzählt, hat er ihm in den Hals gebissen.“
„Mistkerl.“
„Kann das etwa stimmen?“, fragte sie, entsetzt, dass er gar nichts abzustreiten versuchte. „Weißt du, wo Ben ist? Ich habe seit seinem Anruf nichts mehr von ihm gehört. Haben deine Freunde oder du ihm etwas angetan? Ich muss ihn sehen.“
„Nein! Ich weiß nicht, wo er ist, Tess, aber du musst mir versprechen, dass du von ihm wegbleibst.“
Tess fühlte sich elend, verängstigt und verwirrt. „Was ist hier los, Dante? In was bist du wirklich verwickelt?“
„Tess, hör mir bitte zu. Ich möchte, dass du irgendwo hingehst, wo es sicher ist. Jetzt sofort. Geh in ein Hotel, ein öffentliches Gebäude, irgendwohin – nur geh jetzt sofort und bleib da, bis ich dich heute Abend abhole.“
Tess lachte auf, aber es war ein humorloser Klang, der ihr in den Ohren wehtat. „Ich arbeite, Dante. Und selbst wenn ich nicht arbeiten würde, glaube ich nicht, dass ich irgendwo hingehen und auf dich warten werde. Nicht, bevor ich verstehe, was hier vor sich geht.“
„Ich werde es dir erklären, Tess. Versprochen. Ich hatte sowieso vor, dir alles zu erzählen, selbst wenn das alles nicht passiert wäre.“
„In Ordnung. Gut. Mein Zeitplan ist für heute ausgebucht, aber ich kann in ein paar Stunden eine Mittagspause einlegen. Falls du mit mir reden willst, wirst du herkommen müssen.“
„Ich …
„Dir vertrauen“, flüsterte sie, schloss die Augen und schlug ihren Kopf gegen die Bürotür. „Ich glaube, das ist etwas, das
Sie klappte das Handy zu und deaktivierte es. Sie wollte nicht mehr reden, mit niemandem.
Sie ging hinüber zum Schreibtisch, um das Handy abzulegen, als ihr Blick an etwas hängen blieb, das sie beunruhigte, seit sie es heute Morgen gefunden hatte. Es war ein Flashdrive, ein kleiner tragbarer Datenspeicher. Sie hatte es ganz hinten unter dem Untersuchungstisch in einem der Klinikzimmer entdeckt. Im selben Raum, in dem Ben gestern gewesen war – als sie ihn überraschend ertappt und er Ausflüchte gemacht hatte, er sei nur gekommen, um die Hydraulik des Tischs zu reparieren.
Tess hatte schon vermutet, dass er nicht ehrlich zu ihr gewesen war – in mehr als einer Hinsicht. Jetzt wusste sie es mit Sicherheit. Die Frage war nur: warum?