Der Mann, der diese große Nation führte, war müde und verängstigt. Feinde bedrängten sie von allen Seiten, und innerhalb der Nation drohten Splittergruppen, die Struktur der Gemeinde zu zerreißen. Städte, die einst unabhängig gewesen waren, vergaßen, daß sie zu jener Zeit auch Hunger gelitten hatten. Menschen, deren Vorfahren einst Herrscher gewesen waren, vergaßen, daß diese Vorfahren auch von Feinden getötet worden waren und ihr Volk nur überlebt hatte, weil es unter den Schutz dieser großen Nation getreten war. Menschen, die nach Reichtum gierten, verschafften ihn sich auf jede nur erdenkliche Weise, schmiedeten Ränke und betrogen, schüchterten andere ein und töten manchmal auch, um Rivalen aus dem Weg zu räumen. Es war ein wunderschönes Land; aber der Kampf, dieses Land zu bewahren, schien von Jahr zu Jahr schwerer zu werden, und der Mann verzweifelte.
In seiner Einsamkeit und Furcht ging er in sein kleines Haus und öffnete ein Kästchen, das er in einem Krug mit getrocknetem Getreide versteckt hatte. In dem Kästchen fand er einen dicken Stapel aus Metallplatten, die auf einer Seite mit Metallringen verbunden waren. Nafai wurde klar, daß es sich um ein Buch handelte, denn in das Metall waren Worte geschrieben, und der Mann öffnete es und blätterte die Seiten um.
Ohne zu begreifen, wie dies möglich war, wußte Nafai, was die Worte besagten und was der Mann in seiner Vorstellung sah, als er las. Der Mann las die Geschichte, wie Volemak auf einem Felsen in der Wüste eine Feuersäule gesehen hatte und nach Basilika zurückkehrte, um die Leute zu warnen, daß die Stadt zerstört werden würde. Dann beschrieb das Buch, wie Nafai und seine Brüder in die Stadt zurückgekehrt waren, um den Index zu holen. Der Mann sah, wie Nafai über Gaballufix’ Leiche stand, und nickte. Manchmal mußten die, die etwas um eine Gemeinschaft gaben, bei ihrem Vorgehen akzeptieren, daß eine Einzelperson Schaden nahm. Einem guten Menschen fiel dies niemals leicht, und er vermied es, wenn es sich umgehen ließ; aber wenn er zum Nutzen des Volkes hart sein mußte,
Das hat er von mir gelernt, dachte Nafai, und dann wurde ihm klar, daß er dieses Buch hergestellt und die Geschichte seines Lebens darin aufgeschrieben hatte, des Lebens und der Handlungen aller Menschen in dieser Gemeinschaft, ihrer bösen und heldenhaften Taten, ihrer Zeiten der Zweifel und ihrer erstaunlichen Leistungen. Und dieser Mann, dieser Anführer, dieser König, er schaute in das Buch und fand Geschichten darin, Geschichten, die ihm verdeutlichten, was er tun mußte, und Weisheit, die seine Entschlossenheit stärkte, und Liebe, die ihn Mitgefühl lehrte, und Hoffnung, die zu edlen Taten führte, selbst wenn sie sich dann doch nicht erfüllte.
Nafai erwachte und dachte: Dieser Traum war so klar, daß er von der Überseele gekommen sein mußte. Oder vielleicht vom Hüter der Erde.
Und dann dachte er: Dieser Traum entspricht so genau meinem Wunsch, das Lesen und Schreiben unter diesem Volk zu bewahren, daß er genausogut meiner eigenen Sehnsucht entsprungen sein könnte.
Aber andererseits — woher kam seine Sehnsucht? Warum wollte er unbedingt, daß die geschriebene Sprache bei seinen Nachkommen erhalten blieb? Konnte ihm dieser Wunsch nicht vom Hüter eingegeben worden sein?
Nein, dachte er. Dieses Verlangen stammt aus meiner Erinnerung, über Gaballufix’ Leiche zu stehen. Ich habe ihn getötet, um ihm den Index abnehmen zu können. Und wozu diente der Index? Er war mein Zugang —
Doch während er den Traum noch als unbedeutend abtat, wußte er, daß er seine Weisungen befolgen würde.