»Ich wette, ich gebäre ihm ein Kind, bevor du es schaffst«, flüsterte Kokor. Natürlich hatte sie nicht die geringste Absicht, ihm überhaupt ein Kind zu gebären; aber es wäre doch wunderschön, wenn Sevet das täte und ihren dicken Körper damit noch schlimmer ruinierte, als sie es durch die Geburt ihrer drei Kinder ohnehin schon getan hatte. Soll das arme Miststück doch glauben, wir würden uns darum streiten, Elemaks Bastarde zu gebären — ich lasse sie einfach ›gewinnen‹ und heimse den wirklichen Sieg ein, der darin besteht, daß ich meinen jugendlichen Körper behalte, obwohl Obring mir fünf Kinder gezeugt hat. Falls alle fünf wirklich von ihm sind.
Sie lösten sich voneinander und traten ein Stück zurück. »Oh, Kokor«, sagte Sevet. »Meine Schwester.« Dann brach sie wieder in Tränen aus.
Verdammt. Das war kaum zu übertreffen.
Kokor streckte die Hand aus, wischte eine Träne von Sevets Wange und hob dann die Fingerspitze mit dem funkelnden Tropfen darauf hoch. »Wegen mir wirst du nie wieder eine Träne vergießen müssen, meine geliebte Sevja.«
Das Seufzen der anderen war mehr als genug Applaus für Kokor. Ich habe schon wieder gewonnen, Sevet. Du bist mir einfach nicht gewachsen.
Fusum lernte aus Obrings und Vas’ Tod zweierlei.
Zum einen lernte er, daß die Menschen tatsächlich sterblich waren und getötet werden konnten, wenn man die geeignete Waffe auf die richtige Art und Weise und mit genug Kraft benutzte. Er hatte nicht die Absicht, diese Information in nächster Zukunft zu verwenden, wollte aber in den kommenden Monaten und Jahren ausführlich darüber nachdenken.
Zum anderen lernte er, daß das Töten eine drastische Maßnahme war, die man nicht verschwenden durfte, sondern wohldosiert einsetzen mußte. Man mußte die richtige Person töten, und zur richtigen Zeit, und immer, um damit ein wichtiges Vorhaben durchzusetzen. Deshalb legte Fusum, als er schließlich rehabilitiert wurde und zu seinem Volk zurückkehrte, größten Wert darauf, Freund und Gefährte von Nen zu werden. Als ältester und begabtester Sohn von Emeezem und Mufruzhuuzh, der tiefen Mutter und des Kriegskönigs, war Nen die strahlende, goldene Hoffnung der nächsten Generation. Er sprach die Menschensprache fast so fließend wie Fusum selbst, was daher kam, daß er oft mit Ojkib zusammen war, und als Emeezem und Mufruzhuuzh Fusums Vater, den Blutkönig Schosseemem, zwangen, gemeinsam mit ihnen die Entführung und den Verzehr der Kinder des Himmelsfleisches zu verbieten, war es Nen, der vortrat und schwungvoll das Knochenpodest wegwischte, auf dem der Unberührte Gott geruht hatte. Und es war Nen, der dann rief: »Auf daß ewige Freundschaft zwischen unserem Volk und dem Himmelsvolk herrsche!« Oh, Fusum hatte an diesem Tag gemeinsam mit allen anderen gejubelt. Und er arbeitete hart, um einen Platz an Nens Seite zu gewinnen, als sein vertrauenswürdigster Freund.
Dann jagten sie eines Tages gemeinsam, trugen den traditionellen Speer mit der Steinspitze in der einen und die knorrige Keule in der anderen Hand. Sie verfolgten ein Pekari durch das Unterholz, waren ihm schon so nah, daß sie es dann und wann grunzen hörten, als Fusum plötzlich seine Chance sah. Auch ein Panther hatte es auf das Pekari abgesehen, doch wie alle wußten, waren Panther nicht sehr wählerisch und nahmen jedes Fleisch als Mahlzeit, das sich ihnen bot. Aber es mußte lebendes Fleisch sein, und als Fusum zuschlug, schlug er nicht hart genug zu, um zu töten — oder hoffte es zumindest. Nen fiel wie ein Stein, richtete sich dann aber fast sofort wieder auf die Ellbogen auf und stöhnte. Fusum mußte nicht mal einen Stein werfen, um die Aufmerksamkeit des Panthers zu erlangen. Das Tier sprang auf Nen und zerfetzte augenblicklich dessen Kehle. Dann griff Fusum an, trieb seinen Speer in die Seite des Panthers, unter die Rippen, und traf augenblicklich dessen Herz. Ich bin wirklich gut darin, dachte Fusum. Dann zog er dem Panther mehrmals die Keule über den Kopf, damit niemand auf die Idee kommen würde, auf der Waffe nach Spuren von Nens Blut, Haar und Geruch zu suchen.
Einige Minuten später torkelte er weinend in die Wühlerstadt, schrie laut seine Trauer über den Tod seines Freundes Nen hinaus und machte sich Vorwürfe, daß er den Goldenen, den Schönen, nicht hatte retten können. »Kein Mann war je ein schlechterer Freund als ich!« rief er. »Ich bitte euch, tötet mich! Ich will mit Nens Tod an meinen Händen nicht mehr leben.« Doch als sie am Schauplatz des Geschehens angelangt waren, sprachen die Männer der Stadt Fusum von jeder Schuld frei, und die Geschichte seiner großen Trauer über den Tod seines geliebten Freundes wurde in der ganzen Stadt verbreitet. So verblieb ein Teil von Nens Ruhm bei Fusum, und viele sahen nun, da Nen tot war, ihn als die Hoffnung der Zukunft an.
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