»Alle sind wach. Als der Tiefschlaf-Alarm losging, wurden alle gleichzeitig geweckt. Nur für den Fall, daß mit dem System etwas nicht in Ordnung ist.«
»Was hat den Alarm ausgelöst?« fragte Chveja.
Nun legte sich zum erstenmal ein dunkler Ausdruck des Zorns auf Onkel Vas’ Gesicht. »Das müssen wir erst noch herausfinden. Aber wären wir nicht geweckt worden, hätten wir keine Gelegenheit bekommen, dich als so hübsche kleine — wie alt bist du? — Vierzehnjährige zu sehen.«
»Fünfzehn«, sagte sie.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, antwortete er trocken. »Meine achtjährige Tochter Vasnaminanja wird sich bestimmt freuen, ihre liebe Kusine Veja zu sehen. Es wird dir wirklich Freude machen, mit ihr mit Puppen zu spielen, meinst du nicht auch?«
Plötzlich schämte Chveja sich. Vasnja war ihre Freundin gewesen, das einzige Kind des ersten Jahres, das nett zu ihr gewesen war und sie bei ihren Spielen beteiligt hatte, selbst als Dza bestimmt hatte, daß Chveja eine Unberührbare war. Doch da Vasnjas Eltern Freunde von Elemak statt von Nafai waren, war Vasnja zurückgelassen worden. Chveja war bereits sechseinhalb Jahre älter. Sie würden nie wieder wirkliche Freundinnen sein. Und warum? Hatte Vasnja irgend etwas Böses getan? Nein — sie war ein guter Mensch. Und doch war sie zurückgelassen worden.
»Es tut mir leid«, sagte Chveja leise.
»Nun ja, wir wissen, wer die Schuld daran trägt, und es war keins der Kinder.« Er reichte ihr eine Hand. »Elemak hat jetzt das Sagen. Das hätte schon vor langer Zeit so sein sollen.«
Er versuchte, sich nett und zuversichtlich zu geben, doch Chveja war nicht dumm. »Was habt ihr mit Vater gemacht?«
»Nichts«, erwiderte Vas lächelnd. »Er schien einfach nicht besonders versessen darauf zu sein, Elemaks Autorität herauszufordern.«
»Aber er hat den Mantel des …«
»Des Herrn der Sterne«, sagte Vas. »Ja, den hat er noch immer. Und er sprüht auch weiterhin Funken. Nafai hat den Mantel. Aber Elemak hat die Zwillinge.«
Die Zwillinge, Serp und Spel. Chvejas jüngste Brüder, die noch so klein waren, daß man sie nicht in die Schule hatte aufnehmen können. Elemak mußte sie als Geiseln genommen und gedroht haben, ihnen etwas anzutun, falls Vater nicht tat, was Elemak wollte.
»Also benutzt er Babys, um seinen Willen durchzusetzen?« sagte Chveja verächtlich.
Vas’ Gesichtsausdruck wurde plötzlich sehr häßlich. »Ach, wie schrecklich von ihm, nicht wahr? Eines Tages wirst du mir erklären müssen, warum es böse von Elemak ist, die Kinder zu benutzen, um seinen Willen zu bekommen — aber daß es völlig in Ordnung ist, wenn dein Vater genau dasselbe tut. Und jetzt komm mit.«
Als sie vor Vas die Leiter hinaufkletterte, versuchte Chveja, einen klaren Unterschied zwischen dem Vorgehen der beiden Männer zu finden. Elemak benutzte Babys als Geiseln, doch Nafai hatte Kindern die Wahl gelassen, ob sie ihn unterstützen wollten — um die Kontrolle über die Kolonie behalten zu können. Darauf lief es doch hinaus, nicht wahr? Kinder zu benutzen, um die Kontrolle über die gesamte Gemeinschaft zu bekommen und zu behalten.
Aber es
Dann kam Chveja ein ganz anderer Gedanke. Ojkib hatte ihr den Index gegeben. Er war davon ausgegangen, daß Dza die anderen Kinder in Sicherheit führte. Doch als es darum ging, den Index der Überseele zu verstecken, hatte er es nicht selbst getan, sondern diese Aufgabe Chveja übertragen. Und er hatte ihr auch nicht gesagt, wo sie ihn verstecken sollte.
Alle hatten sich in der Bibliothek eingefunden. Da es sich um einen großen, offenen Raum handelte, der fast den ganzen Umfang des Schiffes ausnutzte, war es der einzige, der groß genug war, sie alle aufzunehmen. Babys weinten, und kleine Kinder schauten verwirrt und verängstigt drein. Chveja kannte natürlich alle kleinen Kinder. Sie hatten sich nicht verändert und drängten sich jetzt um ihre Mütter. Kokor, Sevet, Dol. Und Elemaks Frau Eiadh. Aber sie hielt nicht ihr jüngstes Kind in den Armen, nicht Zhivja. Nein, Tante Eiadh hielt einen der Zwillinge, Spel.
Und Elemak, der am Rand der Bibliothek stand, hielt Serp.
Ich werde euch beiden niemals verzeihen, sagte Chveja stumm. Kann sein, daß ich die moralischen Grundsätze noch nicht auf die Reihe bekomme, aber ihr haltet meine Brüder fest und droht, ihnen Schaden zuzufügen, um euren Willen durchzusetzen.
»Chveja«, sagte Luet, als sie sie sah.
»Halt die Klappe«, sagte Elemak. »Komm her«, sagte er zu Chveja.
Sie ging zu ihm, blieb aber mehrere Schritte vor ihm stehen.
»Sieh dich an«, sagte Elemak mit verächtlicher Wut.
»Sieh