Chveja hätte es früher nie gewagt, so etwas zu sagen, doch nun sah sie, daß sie mit jedem Wort, jedem Satz, Elemaks Position schwächte. Natürlich war sie klug genug, um zu wissen, daß dieses Vorgehen sehr gefährlich war; denn sobald Elemak sich seines nachlassenden Einflusses erst bewußt wurde, würde er vielleicht unbesonnener und brutaler vorgehen. Doch etwas anderes fiel ihr einfach nicht ein. Nur so konnte sie ihre Lage in gewisser Weise beherrschen.
»Aber natürlich habe ich nicht die Kontrolle«, sagte Elemak ruhig. »Ich habe es auch nie angenommen. Dein Vater ist der einzige, der die Leute beherrschen will. Ich muß ihn in Schranken halten. Denn wenn ich’s nicht tue, wird er diesen Mantel benutzen, um die Leute zu zwingen, das zu tun, was er will. Mir liegt einfach nur an Gerechtigkeit. Zum Beispiel könntet ihr übergroßen Kinder für den Rest der Reise schlafen, während
Chveja wurde klar, daß Elemak bei diesem Spiel sehr, sehr gut war. Mit einigen wenigen Worten konnte er alles wieder aufbauen, das sie niedergerissen hatte.
»Gut«, sagte sie. »Du bist ein freundlicher, vernünftiger und anständiger Mann. Deshalb wirst du mich und Ojkib und Mutter jetzt zu Vater bringen lassen.«
»Vielleicht. Sobald ich den Index habe.«
Für einen Augenblick dachte Chveja, er habe nachgegeben. Sie müsse ihm nur sagen, wo der Index war, und er würde sie zu Vater lassen. Aber dann griff Ojkib ein.
»Wirst du diesem Lügner etwa glauben?« fragte er. »Er spricht davon, daß Nafai uns mit dem Mantel unterdrückt — aber niemand soll sich daran erinnern, daß er und Meb vorhatten, Nafai zu
Elemak brachte ihn mit einem Schlag zum Schweigen, einem gewaltigen Hieb seines kräftigen Arms. Ojkib flog durch den Raum und prallte noch härter als zuvor mit dem Kopf gegen eine Wand. Die Schwerkraft mochte niedriger sein, doch wie alle Kinder in der Schule gelernt hatten, wurde die Masse dadurch nicht verringert, und so lag Ojkibs volles Gewicht hinter dem Zusammenprall. Er rutschte bewußtlos zu Boden.
Jetzt gaben die Erwachsenen ihr Schweigen auf. Rasa schrie. Volemak sprang auf und brüllte Elemak an: »In deinem Herzen warst du immer ein Mörder! Du bist nicht mehr mein Sohn! Ich enterbe dich! Ich nehme dir alles, was du je hattest!«
Elemak verlor kurz die Selbstbeherrschung. »Du und deine Überseele!« schrie er zurück. »Was bist du denn schon? Nichts! Ein schwacher, gebrochener Wurm von einem Mann! Ich bin dein
Volemak antwortete ganz ruhig. »Ich habe ihn dir nie vorgezogen. Ich habe dir alles gegeben. Ich habe dir alles anvertraut.«
»Du hast mir nichts gegeben. Du hast dein Geschäft weggeworfen, unseren Reichtum, unsere Stellung, alles. Für einen
»Und du hast mich an Gaballufix verraten. Du bist im Grunde deines Herzens ein Verräter und Mörder, Elemak. Du bist nicht mein Sohn.«
Chveja wußte, damit war es geschafft. Obwohl die Furcht blieb, verblich in diesem Augenblick alle Loyalität, die die anderen Elemak vielleicht entgegengebracht hatten. Sie würden ihm noch immer gehorchen, aber niemand würde es mehr freiwillig tun. Selbst sein ältester Sohn, der achtjährige Protschnu, schaute seinen Vater voller Furcht und Entsetzen an.
Rasa und Schedemei kümmerten sich um Ojkib. »Ich glaube, er kommt wieder in Ordnung«, sagte Schedemei. »Wahrscheinlich hat er eine Gehirnerschütterung, und er wird nicht so bald wieder aufwachen, aber gebrochen ist nichts.«
Nachdem sie gesprochen hatte, herrschte lange Zeit Schweigen. Ojkib würde sich erholen — aber niemand konnte vergessen, wer ihm seine Verletzungen zugefügt hatte. Niemand konnte die brutale Härte des Schlages vergessen, die Wut, die dahinter steckte, den Anblick von Ojkib, der hilflos und wehrlos durch die Luft flog. Man würde Elemak gehorchen, soviel stand fest. Aber niemand würde ihn lieben oder bewundern. Er war nicht mehr der gewählte Anführer, jetzt nicht mehr, für keinen. Niemand stand auf seiner Seite.
»Luet«, sagte Elemak leise. »Du begleitest mich und Chveja. Und auch Issib. Ihr
Als Chveja Elemak die Leiter hinab auf eins der Lagerdecks folgte, fragte sie sich: Warum hatte er sie nicht sofort zu Vater geführt, als sie ihn darum bat? Es ergab keinen Sinn.
›Er hat dich nicht zu ihm gebracht, weil du es verlangt hast.‹
Wie kindisch von ihm.