›Nein, es war vernünftig. Wenn er seine Autorität durchsetzen wollte, mußte er sich von Anfang an völlige Kontrolle verschaffen.‹
Tja,
›Im Gegenteil. Du und Ojkib, und schließlich auch Volemak, ihr habt ihn zerbrochen. Er hat bereits verloren. Vielleicht dauert es eine Weile, bis es ihm klar wird, aber er hat bereits verloren.‹
Das ließ Chveja glühenden Triumph empfinden, während sie Elemak in den Lagerraum folgte, in dem Vater gefangengehalten wurde.
Doch das Glühen legte sich schnell, als sie sah, wie sie ihn behandelt hatten. Vater lag auf der Seite auf dem Boden eines Lagerraums. Seine Handgelenke waren fest — brutal — im Rücken zusammengebunden. Chveja sah, daß die Haut über und unter der Schnur angeschwollen war, und seine Hände waren weiß. Sie hatten auch seine Knöchel zusammengebunden — genauso eng. Dann hatten sie die Beine hinter ihm hochgezogen, ihn schmerzhaft zurückgebogen, zwei Stricke von seinen Knöcheln zu seinen Schultern gezogen und sie vorher und nachher verknotet, so daß sie eng um seinen Hals lagen. Anschließend hatten sie die Stricke über seinen Leib wieder hinabgeführt, zwischen seinen Beinen hindurch, und sie über seinen Hinterbacken wieder mit den Handgelenken verknotet. Das Ergebnis war, daß die Stricke einen ständigen Druck ausübten. Vater konnte den Druck auf seinen Schultern und den Lenden nur lindern, wenn er die Beine noch höher nahm oder den Körper noch weiter nach hinten bog. Doch da sie ihn bereits so fest in diese Richtung zurückgezogen hatten, wie es ihnen möglich gewesen war, gab es keine Erleichterung für ihn. Seine Augen waren geschlossen, sein Gesicht gerötet, und schnelle, flache Atemzüge verrieten Chveja, daß er Schmerzen hatte und ihm in dieser unmöglichen Position sogar das Atmen schwerfiel.
»Nafai«, murmelte Mutter.
Nafai schlug die Augen auf. »Hallo«, sagte er leise. »Seht ihr, wie ein kleiner Sturm auf See die Reise unterbrechen kann?«
»Wie klug du ihn gefesselt hast«, sagte Issib mit Gift in der Stimme. »Was für ein einfallsreicher Folterknecht du doch bist.«
»Die übliche Prozedur für unterwegs«, erwiderte Elemak, »wenn eine Person, die man braucht, sich unbedingt stur verhalten will. Man kann sie nicht umbringen, ihren Trotz aber auch nicht dulden. Normalerweise reicht es, wenn man ein paar Stunden so gefesselt liegt. Aber Nafai ist schon immer ein äußerst starrköpfiger Bursche gewesen.«
»Kannst du atmen, Nafai?« fragte Mutter.
»Kannst
Erst jetzt merkte Chveja, daß die Luft wirklich sehr stickig und muffig war.
»Was meinst du damit?« fragte Elemak.
Issib antwortete für ihn. »Die Lebenserhaltung verkraftet es nicht, daß so viele Leute gleichzeitig wach sind«, sagte er. »Sie arbeitet bereits auf höchsten Touren. Wir werden im Laufe der Zeit immer weniger Sauerstoff bekommen.«
»Kein Problem«, sagte Elemak. »Wir lassen einfach all die Leisetreter und Lügner und ihre übergroßen Kinder den Rest der Reise schlafen.«
»Das wirst du nicht tun«, flüsterte Vater.
Elemak betrachtete ihn gelassen. »Ich glaube, wenn ich den Index habe, wird der Schiffscomputer tun, was ich will.«
Vater antwortete nicht einmal.
»Der Index, Chveja«, sagte Elemak. »Ich habe mein Wort gehalten.«
»Binde ihn los«, sagte Chveja.
»Das kann er nicht«, sagte Issib. »Nafai hat den Mantel. Man kann ihn ihm nicht nehmen. Wenn er ihn freiläßt, hat Nafai sofort wieder die Kontrolle über das Schiff. Dann könnte niemand etwas gegen ihn ausrichten.«
Das also hatte er erreicht, indem er die Zwillinge als Geiseln nahm. Vater hatte sich freiwillig so fesseln lassen, damit seinem Nachwuchs nichts geschah. Zum erstenmal wurde Chveja wirklich klar, wie machtlos Eltern waren. Nur Leute ohne Kinder konnten wirklich nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Sobald man sich um Kinder kümmern mußte, konnte man immer von jemandem beherrscht werden.
»Kannst du die Fesseln nicht lockern?« fragte Chveja. »Du mußt ihn doch nicht so verdrehen.«
»Nein, das muß ich nicht«, sagte Elemak. »Aber ich
Chveja spürte, wie Mutter sich neben ihr versteifte. »Das wirst du nicht tun«, sagte sie.
»Ach nein? Da du und Ojkib und Vater bereits dafür gesorgt haben, daß alle mich hassen, wird es dadurch nicht schwerer für mich. Und wenn ich beweise, daß ich eine Frau genauso brutal wie einen Mann behandeln kann, bleiben mir vielleicht weitere Einmischungen von großmäuligen kleinen Miststücken wie dir erspart.«
»Sag es ihm«, verlangte Vater. Seine Stimme klang wie die personifizierte Niederlage.