So verlief Luets Gespräch mit der Überseele, Stunde um Stunde. Sie wußte, wenn ihr Zorn verraucht war, würde sie verstummen, sich mit der Situation abfinden, der Überseele schließlich wahrscheinlich sogar beipflichten, daß die Dinge ein gutes Ende nehmen würden. Doch noch war dem nicht so. Und wenn das die beste Entwicklung war, die die Dinge nehmen konnten, wollte sie gar nicht wissen, wie die schlechteste aussah — oder auch nur die zweitbeste. Aber das war dasjenige, was sie nie erfahren würden: was geschehen
Eines Tages werde ich diese tiefe, unvernünftige Wut auf die Überseele nicht mehr empfinden. Aber nicht jetzt, nicht, da der Anblick Nafais in diesen grausamen Fesseln noch so frisch in meiner Erinnerung ist, so lebendig in meinen Alpträumen. Nicht, solange meine Kinder nach jedem Schluck keuchen. Nicht, solange der blutrünstige Elemak die Menschen an Bord dieses Schiffes beherrscht.
Hätten wir doch nur der Überseele widerstanden und die Kinder während der Reise schlafen lassen.
In ihrem Herzen tobte sie, machte der Überseele schwere Vorwürfe, dachte sich lange, boshafte und scharfe Reden aus, von denen sie wußte, sie würde sie niemals Elemak oder Mebbekew oder denen vortragen können, die sie unterstützten. Doch den anderen zeigte sie ein ruhiges, unbewegtes Gesicht. Zuversichtlich, furchtlos, nicht mal verärgert — so gab sie sich vor den anderen. Sie wußte, damit würde sie Elemak und seine Gefolgschaft stärker beunruhigen als auf jede andere Art und Weise. Daß sie nicht beunruhigt zu sein schien, würde die anderen beruhigen. So wenig dies auch war — mehr konnte Luet nicht tun.
Sie. Wir. Insgeheim dachte Luet von Elemaks Gefolgsmännern und ihren Familien als den ›Elemaki‹ — Elemaks Volk — und von denen, die während der Reise am Unterricht teilgenommen hatte, als den »Nafari«. Normalerweise dienten solche Endungen dazu, Nationen oder Stämme zu bezeichnen. Aber sind wir hier auf diesem Schiff nicht Stämme, ganz gleich, wie wenige wir auch sein mögen? fragte sie sich.
Elemak verlangte, daß die Nafari-Familien ihre Mahlzeiten gleichzeitig in der Bibliothek einnahmen. Danach brachten er oder Meb jede Familie in ihr enges Quartier zurück und verriegelte die Tür. Während sie unterwegs waren, hielten Vas und Obring Wache. Luet musterte sie während der Mahlzeiten in der Bibliothek eindringlich. Ihre Aufgaben schienen ihnen nicht ganz genehm zu sein, doch Luet konnte nicht sagen, ob es daran lag, daß sie sich schämten, oder ob sie lediglich nicht sehr zuversichtlich waren, sich in einer körperlichen Auseinandersetzung behaupten zu können.
Einige der Elemaki-Frauen unternahmen während der Mahlzeiten in der Bibliothek halbherzige Versuche, Gespräche zu führen, doch Luet zeigte durch keine Geste, keinen Gesichtsausdruck, geschweige denn durch ein einziges Wort, daß sie diese Frauen Kenntnis nahm. Sie gaben ihre Bemühungen wütend auf, besonders Kokor, Tante Rasas jüngere Tochter, die schnippisch sagte: »Du hast dir das sowieso alles selbst eingebrockt, weil du so vornehm getan hast, als man dich noch Wasserseherin genannt hat.« Da dies nicht das geringste mit dem derzeitigen Konflikt zu tun hatte, war Luet klar, daß Kokor nur ihren uralten Groll gegen sie zum Ausdruck brachte. Es fiel Luet schwer, nicht über Kokor zu lachen.
Luets Schweigen gegenüber den Elemaki-Frauen beruhte nicht auf Zorn. Ihr war völlig klar, daß sie nichts mit den Entscheidungen der Männer zu tun hatten, daß Mebs Frau Dol und Elemaks Frau Eiadh zutiefst entsetzt darüber waren, was ihre Männer taten. Doch Luet wußte auch, daß sie sich